Das Fundament für menschenwürdige und ethische Betreuung
Letzte Aktualisierung am: 23.04.2025
Pflege und Betreuung von Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen setzt eine menschenwürdige und ethisch fundierte Betreuung voraus. Indem Menschenbilder, Grundrechte und ethische Werte sowie kulturelle, soziale und religiöse Unterschiede zur inneren Haltung werden, können Sozialbetreuer jedem Menschen mit dem gleichem Respekt begegnen und ihn individuell betreuen.
Das Fach Grundsätze der professionellen Pflege ist das Fundament der pflegerischen Arbeit. Es vermittelt die Kompetenzbereiche und -grenzen der Sozialbetreuung und ermöglicht eine moralisch-ethische Herangehensweise.
INHALTSVERZEICHNIS
………………………………………………….……
1. Fachsozialbetreuung Altenarbeit bzw. Behindertenarbeit: Das Berufsbild
1.1. Der Berufsausweis
2. Menschenbilder
2.1. Das holistische Menschenbild
2.2. Das humanistische Menschenbild
3. Die Geschichte der Pflege
3.1. Die Antike
3.2. Das Mittelalter
3.3. Die Frühe Neuzeit
3.4. Die Moderne
4. Moral
5. Ethik
6. Werte
7. Normen
8. Pflegeethik
9. Der ICN-Ethikkodex
10. Ethische Dilemmata
11. Patientenrechte
12. Angehörigenpflege
13. Informelle Pflege und formelle Pflege
Das muss der Sozialbetreuer über sein Berufsbild wissen:
➤ Berufsbild definieren und das Berufsbild des FSB Altenarbeit / Behindertenarbeit (Tätigkeitsbereiche) erläutern.
➤ Menschenbild definieren und Auskunft über das holistische und humanistische Menschenbild geben.
➤ Über die Geschichte der Pflege Bescheid wissen.
➤ Den Begriff „Ethik“ definieren.
➤ Beispiele für moralische Werte angeben.
➤ Den Begriff „Norm“ beschreiben.
➤ Verantwortung definieren.
➤ Pflegeethik definieren.
➤ Berufskodex definieren.
➤ Den Begriff „Ethische Prinzipien“ definieren und ein pflegerisches Beispiel angeben.
➤ Den Begriff „Ethisches Dilemma“ definieren und Beispiele nennen.
➤ Die Patientenrechte kennen.
➤ Informelle Pflege von professioneller Pflege unterscheiden können.
➤ Über die Bedeutung der Angehörigen im Pflegeprozess Bescheid geben können.
➤ Den Begriff „Kultursensible Pflege“ definieren.
➤ Transkulturelle und interkulturelle Pflege beschreiben und wissen, worauf bei der Pflege geachtet werden muss.
1. Fachsozialbetreuung Altenarbeit bzw. Behindertenarbeit: Das Berufsbild
Berufsbild Definition:
Ein Berufsbild schafft Klarheit über:
• die Ausbildung
• die Qualifikationen
• den Tätigkeitsbereich
• die Ausübungsbedingungen
• die Berufspflichten
• den gesetzlichen Rahmen
eines bestimmten Berufes. Das stärkt die berufliche Identität innerhalb der Berufsgruppe und verbessert zugleich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Dem Berufsbild eines reglementierten Berufs liegt immer ein Gesetz zugrunde, in welchem alle oben genannten Punkte schriftlich festgehalten sind.
Das Berufsbild der FachsozialbetreuerIn besteht aus 2 Schwerpunkten: Pflegeassistenz und Sozialbetreuung, wobei sich die FachsozialbetreuerIn schon während ihrer Ausbildung entweder für Altenarbeit oder Behindertenarbeit entscheidet. Im ersten Jahr der Ausbildung qualifiziert sie sich zur Pflegeassistenz, im zweiten Jahr für die Fachsozialbetreuung. Optional kann ein drittes Jahr absolviert werden, mit dessen Abschluss man das Diplom erhält.
Welche Anforderungen das Berufsbild der Pflegeassistenz umfasst, ist im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) zu finden, die des Fach- und Dimplom-Sozialbetreuers im Sozialbetreuungsberufegesetz (SozBB).
Die Pflegeassistenz ist für die Unterstützung bei grundlegenden Tätigkeiten wie Körperpflege, Mobilisierung, Ernährung und Ausscheidung zuständig. Sie hilft Pflegebedürftigen bei alltäglichen Aktivitäten und fördern deren Selbstständigkeit. Zu diesem Zweck führt sie einfache medizinisch-pflegerische Maßnahmen wie das Messen von Vitalzeichen, Verabreichung von Medikamenten (nach Anweisung) und Anlegen von Verbänden durch, sofern dies vom gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege oder von Ärzten angeordnet wurde. Sie ist verpflichtet, alle gesetzten Pflegemaßnahmen ordnungsgemäß zu dokumentieren. Eine Auflistung des Tätigkeitsbereichs der Pflegeassistenz ist im GuKG zu finden.
Die Fachsozialbetreuung unterstützt Menschen mit psychischen, körperlichen oder geistigen Einschränkungen (alte Menschen, Menschen mit Behinderung, psychisch kranke Menschen) in alltäglichen Lebenssituationen. Dank ihrer Fachkenntnisse in der Sozialpsychiatrie ist sie in der Lage, eine psychosoziale Begleitung anzubieten, die zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Förderung der sozialen Teilhabe im Alltag der betreuten Personen beiträgt. Sie arbeitet im Team und wirkt bei der Erstellung individueller Betreuungspläne mit. Eine Auflistung des Tätigkeitsbereichs des Fachsozialbetreuers ist im SozBB zu finden.
Die Diplom-Sozialbetreuung bringt vertiefte Fachkenntnisse in der Betreuung sowie erweitertes Wissen in psychosozialer Begleitung und Beratung mit. Sie ist befähigt, Anleitung und Schulung von Mitarbeitern in der Pflege und Betreuung zu erteilen. Sie übernimmt die Verantwortung und Koordination innerhalb des Betreuungsteams, oft auch in leitender Position. Eine Auflistung des Tätigkeitsbereichs des Diplom-Sozialbetreuers ist im SozBB zu finden.
Die Fachsozialbetreuung mit Spezialisierung in der Behindertenarbeit (BA) betreut und berät Menschen mit Behinderungen in ihrem Alltag. Ihr Tätigkeitsfeld ist breit und reicht von Wohnen über Arbeit, Freizeit und Soziales bis hin zu Bildung, Rehabilitation und Resozialisierung (z.B. von pschisch Kranken). Sie ist dafür qualifiziert, Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen anzuleiten, zu aktivieren, zu beraten und zu fördern. Bei Bedarf übernimmt die FSB-BA Tätigkeiten der Pflegeassistenz, in ihrem Qualifikationsprofil stehen jedoch anstelle der pflegerischen Tätigkeiten die Beratung und Betreuung im Fokus. Dafür absolviert die FachsozialbetreuerIn eine zweijährige Ausbildung anstelle einer einjährigen, wie es bei der PflegeassistentIn üblich ist.
Lebensbereich Soziales und Freizeit: Die FSB-BA unterstützt bei Kontakten zu anderen Menschen, fördert die Teilhabe am sozialen Leben und berät in Fragen der Partnerschaft und Sexualität. Sie kümmert sich um die Freizeitgestaltung, fördert die Hobbys ihrer Klienten und organisiert Feste und Gruppenaktivitäten. Sie begleitet ihre Klienten bei Krankheit, Trauer und Tod (z. B. von Angehörigen) und leistet Sterbebegleitung.
Lebensbereiche Arbeit und Beschäftigung: Die FSB-BA klärt die Fähigkeiten und Interessen ihrer Klienten ab, fördert und trainiert sie.
Lebensbereiche Bildung und Persönlichkeitsentfaltung: Die FSB-BA setzt musisch-kreative Mittel und Bewegung ein, um die Wahrnehmung, die Kreativität und ästhetische Bildung zu fördern.
1.1. Der Berufsausweis
Alle Vetrter von Gesundheitsberufen benötigen für ihre Approbation einen gültigen Berufsausweis. Der Berufsausweis weist die Qualifikationen zur Ausübung des jeweiligen Gesundheitsberufs nach.
Die Pflegeassistenz erhält den Berufsausweis für Pflegeassistenzberufe, ausgestellt durch das Gesundheitsberuferegister (GBR). Die Grundlage dafür ist das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG). Der Berufsausweis bestätigt die Berechtigung zur Ausübung der Pflegeassistenz im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.
Die FachsozialbetreuerIn erhält keinen eigenen Berufsausweis über das Gesundheitsberuferegister, da dieser Beruf nicht unter das GuKG fällt. Stattdessen erfolgt die Anerkennung über das jeweilige Sozialbetreuungsberufegesetz SozBB und landesrechtliche Vorschriften. Sie hat jedoch aufgrund ihrer Ausbildung den Berufsausweis für Pflegeassistenzberufe.
Die Diplom-SozialbetreuerIn erhält ebenfalls keinen eigenen Berufsausweis durch das Gesundheitsberuferegister, sondern ein Diplom laut Qualifikation über das SozBB.
2. Menschenbilder
Menschenbild Definition:
Ein Menschenbild ist die Auffassung davon, was einen Menschen ausmacht. Es definiert, welche Eigenschaften, Verhaltensweisen, Werte und Fähigkeiten ihm zugeschrieben werden. Menschenbilder umfassen auch grundlegende Annahmen über die Natur des Menschen, seine Bedürfnisse, Ziele und sein Verhältnis zur Umwelt und zu anderen Menschen. Menschenbilder unterscheiden sich je nach kulturellem, religiösem, aber auch politischem Hintergrund.
Je jünger ein Menschenbild ist, desto weiter entfernt es sich vom Wesen des Menschen und desto stärker spiegelt es gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Interessen wider.
In vielen westlich geprägten Gesundheits- und Bildungssystemen sowie in der Sozialarbeit spielen das humanistische und das holistische Menschenbild eine zentrale Rolle – das gilt besonders in pflegerischen, therapeutischen oder pädagogischen Kontexten. Diese Menschenbilder prägen dort Leitbilder, Ethiken und Handlungskonzepte.
Daneben existieren jedoch auch destruktive Menschenbilder, die sich etwa im kapitalistischen System oder in einer stark wettbewerbsorientierten Gesellschaft zeigen. In diesen wird der Mensch beispielsweise auf seine Leistungsfähigkeit, seinen wirtschaftlichen Nutzen oder seine Konkurrenzfähigkeit reduziert. Dies führt zu sozialer Ungleichheit und einem Verlust an Menschlichkeit:
Mechanistisches Menschenbild: Der Mensch wird als „funktionierende Maschine“ verstanden, bestehend aus Einzelteilen, deren Zusammenspiel berechenbar und kontrollierbar ist. Emotionen, Individualität und soziale Kontexte werden ausgeblendet. Dieses Bild prägte vor allem die Zeit der industriellen Revolution ab dem 17. Jahrhundert. Inspiriert von Newtons Weltbild und der aufkommenden Naturwissenschaft wurde der Mensch zunehmend als berechenbare, funktionale Einheit betrachtet. In der Medizin etwa führten mechanistische Denkweisen zur rein körperlichen Betrachtung des Menschen.
Ökonomistisches Menschenbild: Der Mensch wird primär als wirtschaftlich handelndes Wesen (Homo oeconomicus) betrachtet, das rational, nutzenmaximierend und vor allem leistungsorientiert agiert. Dieses Bild liegt vielen kapitalistischen Systemlogiken zugrunde. Dieses Menschenbild gewann mit dem Aufstieg des Kapitalismus im 19./20. Jahrhundert an Bedeutung. Es spiegelt sich stark in neoliberalen Wirtschaftsmodellen wider, insbesondere seit den 1980er-Jahren, in denen Effizienz, Wettbewerb und Leistungsoptimierung zentrale gesellschaftliche Leitmotive wurden.
Materialistisches Menschenbild: Der Mensch wird auf seine materielle Existenz und Bedürfnisbefriedigung reduziert. Geistige, emotionale oder spirituelle Dimensionen werden vernachlässigt. In westlichen Konsumgesellschaften zeigt sich dieses Menschenbild heute in der Reduktion des Glücksbegriffs auf materiellen Wohlstand.
Reduktionistisches Menschenbild: Dieses Menschenbild kann als Gegenteil zum holistischen Menschenbilds verstanden werden. Es reduziert den Menschen auf einzelne Aspekte (z.B. auf biologische) ohne die Ganzheitlichkeit zu berücksichtigen. Dieses Denken zieht sich als Haltung durch verschiedene wissenschaftliche und gesellschaftliche Phasen, vor allem in der Moderne. Besonders in der Biomedizin des 20. Jahrhunderts wurde der Mensch oft auf seine körperlichen oder genetischen Bestandteile reduziert, ohne psychosoziale oder spirituelle Faktoren einzubeziehen (siehe biomedizinische Modell in der Psychiatrie ohne Berücksichtigung der Sozialpsychiatrie bzw. psychosozialer Faktoren).
Utilitaristisches Menschenbild: Der Wert des Menschen wird daran gemessen, welchen Nutzen oder welche Leistung er für die Gesellschaft oder das System erbringt. Besonders in technokratischen oder betriebswirtschaftlich geprägten Gesellschaftsmodellen des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt sich dieses Denken: Der Mensch wird daran gemessen, welchen „Output“ er bringt.
2.1. Das holistische Menschenbild
Das holistische Menschenbild ist eines der ältesten bekannten Konzepte des Menschen und geht auf die Antike und Hippokrates zurück. Es versteht den Menschen als eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Alle Teile stehen sowohl zueinander in Beziehung als auch zu ihrer Umwelt, mit der sie interagieren und auf die sie reagieren. In der Gesundheitslehre spielt in diesem Menschenbild neben der physischen (Biomedizin) und der kognitiven (Neurologie) Dimension auch die Spiritualität (Religion) eine Rolle, um gesund zu bleiben oder zu werden.
In der holistischen Pflegehaltung steht der ganze Mensch im Mittelpunkt: Sie vereint mechanistische und ressourcenorientierte Konzepte, indem sie einerseits körperliche Einschränkungen (defizitorientiert) berücksichtigt und andererseits vorhandene geistige und seelische Fähigkeiten / Potenziale (ressourcenorientiert) in den Pflegeprozess einbezieht.
Alle Pflegemodelle, die heute in der professionellen Pflege Anwendung finden, basieren auf dem holistischen Menschenbild oder orientieren sich zumindest an seinen Grundprinzipien. Das Pflegemodell nach Monika Krohwinkel berücksichtigt in ihren ABEDLs zum Beispiel die Fähigkeit der Kommunikation sowie die Kompetenz, soziale Gefüge aufrechtzuerhalten. ÄrztInnen arbeiten eher nach dem biomedizinischen Modell und nicht nach dem holistischen Menschenbild, öffnen sich jedoch zunehmend für den Holismus.
Der Holismus betrachtet den Menschen als in Beziehung stehend:
• zur eigenen Person
• zur (sozialen, natürlichen, künstlichen) Umwelt
• zum Übersinnlichen
2.2. Das humanistische Menschenbild
Das humanistische Menschenbild ist ein Konzept des Menschen aus der Epoche der Aufklärung. Es betont die Einzigartigkeit, Freiheit und Würde und geht davon aus, dass Menschen vernunftbegabt, und deshalb fähig sind, ihr Leben aktiv und bewusst zu gestalten (Selbstverwirklichung). Der Ausspruch „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen“ gründet in der humanistischen Tradition Europas. Die Würde des Menschen wird in Europa durch die Europäische Menschenrechtskonvention verfassungsrechtlich geschützt.
Die Wurzeln des Humanismus reichen zurück bis zur Renaissance, wurde aber im 20. Jahrhundert durch die Humanistische Psychologie (z. B. Carl Rogers, Abraham Maslow) weiterentwickelt.
Unsere Gesetze in Europa beruhen auf dem humanistischen Menschenbild. 🪢 🧩💡Erinnerungsknoten: Grundrechte, s. Recht💡🧩 🪢
Fünf Grundannahmen des humanistischen Menschenbildes:
Der Mensch…
• ist eine ganzheitliche Einheit (Holismus).
• hat einen konstruktiven Kern (positives Menschenbild).
• strebt danach, sein Leben selbst zu bestimmen, ihm Sinn und Ziel zu geben (Selbstbestimmung).
• lebt im Spannungsfeld Autonomie – Interdependenz (Privat- und Familienleben).
• ist anderen gegenüber gleichwertig und gleichberechtigt. Die Würde des Menschen ist unantastbar (Menschenwürde).
3. Die Geschichte der Pflege
3.1. Die Antike
Die zwei gegensätzlichen Konzepte der Heilung in der Antike
Im antiken Griechenland standen sich zwei grundlegende Konzepte von Pflege und Heilung gegenüber: der Asklepioskult und die hippokratische Medizin.
Asklepioskult: Spirituelle Heilung
In den Tempeln des Gottes der Heilung, Asklepios, suchten Kranke spirituelle Heilung durch Rituale, Opfer und Traumbotschaften. Es wurde gefastet, gebetet und geschlafen. Wer im Traum Asklepios begegnet, wird gesund. Von diesem antiken Kult ist heute noch der Asklepiosstab als Symbol der Heilkunst geblieben.
Hippokratische Medizin: Ursachengerichtete Heilung
Dem gegenüber stand die hippokratische Medizin, die Krankheit als ursachengerichtet verstand und auf Beobachtung, Erfahrung und Vernunft basierte. Hippokrates arbeitete mit der Vier-Säfte- und der Temperamentenlehre (= Humoralpathologie).
3.2. Das Mittelalter
Klösterliche Krankenpflege im frühen Mittelalter
Das Mittelalter beginnt mit dem Untergang des antiken Roms. Mit Untergang des Weströmischen Reiches erstarkt die katholische Kirche und wird zur Staatsreligion ernannt. Damit einher ging das Verbot heidnischer Kulte.
Als der letzte römische Kaiser abgesetzt wurde, saß bereits der erste Papst auf dem Heiligen Stuhl. Ab diesem Zeitpunkt werden alle religiösen Konzepte der Antike mitsamt dem Asklepioskult und der Verehrung der traditionellen Götter wie Jupiter, Mars, Venus und anderer verboten.
Mit dem Übergang von antiken Glaubensvorstellungen zum Christentum veränderte sich alles – auch die Krankenpflege. War man bisher in den Asklepios-Tempel gegangen, um für Heilung zu beten, betete man nun in Kirchen zu einem Gott ohne Namen.
Neben der Hoffnung auf Heilung durch Gebet entstand im frühen Christentum (ca. 500 n. Chr.) jedoch auch eine organisierte Kranken- und Armenpflege, die sich aus dem Gebot der Barmherzigkeit (Caritas) heraus entwickelte. Diese Krankenpflege wurde in Klöstern organisiert.^
Den weltlich-gesetzlichen Rahmen dafür schuf Kaiser Karl der Große mit einem kaiserlichen Erlass, den kirchlich-gesetzlichen Rahmen schuf der Benediktinermönch Benedikt von Nursia. Auf ihn geht die Regula Benedicti (Benediktsregel) zurück, welche die Gleichwertigkeit der Krankenpflege und dem Gebet betonte.
In deutschsprachigen Regionen wurden die gesetzlichen Bestimmungen durch das Konzil von Aachen weiter konkretisiert. Darin hielt Ludwig der Fromme die gesetzliche Pflicht zur Einrichtung von Hospitälern in Klöstern fest.
Der Bader
Der Bader war ein Handwerker ohne medizinische Ausbildung, der in einem Badehaus kleine operative Eingriffe wie etwa das Ziehen eines Zahns oder die Versorgung von Wunden vornahm.
Dieser Beruf entwickelte sich, da die Kirche es nicht mit ihrem Glauben vereinbaren konnte, Blutungen zu verursachen. Die Praktiken, die der Bader ausführte, waren in Klöstern verboten. Aufgrund dieser Tatsache war der Bader von geringer sozialer Stellung. Er verrichtete „unchristliche“ Tätigkeiten, und führte zudem auch noch ein Haus, in dem sich Menschen trafen, um nackt zu baden und um sich zu unterhalten.
Körperpflege und Kosmetik galten zu dieser Zeit in der christlichen Kirche als eitel und sündhaft. Sie bestand darauf, dass man sich mehr der Reinigung der Seele als der des Körpers widmen sollte. Ein gesundheitlich unkluger Versuch, sich als neue Glaubensrichtunge von den Thermen der Antike, die nun als heidnisch galten, abzugrenzen.
Aus dem Beruf des Baders entwickelte sich in der Zeit der Reformation der Wundarzt und in der Zeit der Aufklärung der Chirurg.
Die „Schwestern“ – die Urmütter der PflegerInnen
„Schwestern“ leben als Nonnen in klösterlichen Gemeinschaften und verwirklichen ihren Glauben durch Gebet, Arbeit und den Dienst am Nächsten. Schon im Frühmittelalter spielten sie eine wichtige Rolle in der Versorgung von Kranken, Pilgern und Bedürftigen. Später arbeiteten die „sorores“ (lat. „Schwestern“) in Hospitälern oder Infirmarien innerhalb oder nahe den Klöstern. Diese Frauen begründeten eine Tradition weiblicher Fürsorgearbeit, die sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelte – von den benediktinischen Sorores über die Hospitaliterinnen bis zu den Barmherzigen Schwestern der Neuzeit. Die Bezeichnung „Schwester“ ist seither tief mit dem Ideal christlicher Pflege und tätiger Nächstenliebe verbunden und ist in Heimen und Spitälern noch immer zu hören.
3.3. Die Frühe Neuzeit – 16. bis 18. Jahrhundert
16. Jahrhundert: Die Hexenverfolgung
Schon im Mittelalter gab es bereits Hexenverfolgungen. Den Höhepunkt erreichten diese jedoch in der frühen Neuzeit (16. / 17. Jahrhundert), in der Zeit der Reformation und der Aufklärung. Der Hexenhammer wurde 1486, und damit am Ende des Mittelalters, veröffentlicht.
Pflege wurde im Mittelalter nicht nur im klösterlichen Rahmen von Mönchen und Nonnen organisiert, sondern es gab parallel dazu eine lange Tradition heilkundiger Frauen, die außerhalb kirchlicher Strukturen wirkten: Hebammen, Kräuterkundige, sogenannte „weise Frauen“. Diese Frauen überlieferten praktisches Erfahrungswissen über Heilpflanzen, Geburtsbegleitung und Volksmedizin.
Mit dem Übergang zur Frühen Neuzeit und dem wachsenden Einfluss kirchlicher Dogmen, aber auch einer sich formierenden akademischen Medizin, geriet dieses Wissen zunehmend unter Verdacht. Nun setzten auch noch die Reformation und die aufkeimende Aufklärung neue geistige Impulse frei, die das bestehende Weltbild herausforderten. Diese Strömungen hinterfragten Autoritäten und strebten danach, ein neues Weltbild zu kreieren. Doch wie so oft in der Geschichte führte der starker Gegenpol zum herrschenden Dogma zu einer ebenso heftigen Gegenreaktion: Die Angst vor Kontrollverlust, die Spannungen zwischen Tradition und Erneuerung, zwischen kirchlicher Lehre und aufkommender Wissenschaft, entluden sich in Verfolgung, Unterdrückung und tiefgreifender Ungerechtigkeit – besonders gegenüber jenen, die schon immer an der Schnittstelle von praktischer Heilkunst, weiblichem Erfahrungswissen und spiritueller Deutung wirkten. Waren Frauen, die auf das überlieferte Wissen der Antike zurückgriffen, bereits seit dem frühen Mittelalter als Heidinnen verunglimpft und verfolgt worden, so verschärfte sich ihre Lage mit dem Erscheinen des Malleus Maleficarum („Hexenhammer“) von Heinrich Kramer im Jahr 1487 dramatisch. In diesem Werk wurden sie nicht nur dämonisiert, sondern regelrecht entmenschlicht – als gefährliche, irrationale Märchenwesen dargestellt, die im Bündnis mit dem Teufel stünden. Auf dieser Grundlage wurden in der Frühen Neuzeit (16. bis 17. Jahrhundert) zahllose Frauen als Hexen angeklagt, gefoltert und schließlich zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. So wurde aus einer weiblich geprägten Pflege- und Heiltradition, die über Jahrhunderte in Dörfern und Städten existierte, ein Ziel systematischer Verfolgung. Der Raub dieses Wissens ging einher mit einer zunehmenden medizinischen Autorität in den Händen männlicher Gelehrter und der systematischen Verdrängung der weisen Frauen unter dem Vorwand der Hexerei.
16. Jahrhundert: Die Naturwissenschaftliche Revolution
Ab dem 16. Jahrhundert blühte eine neue Denkrichtung auf. Ihre Anhänger kamen aus der Oberschicht, waren gut gebildet und förderten ein neues Verständnis von der Welt. Ausgehend von der naturwissenschaftlichen Revolution begannen immer mehr Menschen, die Autorität der Kirche kritisch zu hinterfragen, die zunehmend als Institution wahrgenommen wurde, die individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Fortschritt einschränkte.
Nicolaus Copernicus begründete er das heliozentrische Weltbild, in dem nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum des Universums stand. Diese Theorie stellte das geozentrische Weltbild infrage, das die Kirche von der Antike übernommen hatte.
Der Schweizer Arzt und Alchemist Paracelsus (bürgerlicher Name: Theophrastus Bombast von Hohenheim) war ein scharfer Kritiker der Kirche seiner Zeit. Er wandte sich entschieden gegen die institutionalisierte Kirche und ihre Vertreter, die er als korrupt und vom wahren christlichen Glauben abgekommen ansah. Viel wichtiger als die institutionelle Religion war für ihn die persönliche, innere Spiritualität. Woran er selbst glaubte, kann in mehreren seiner Bücher nachgelesen werden, viele seiner spirituellen Vorstellungen finden sich zum Beispiel im Buch „Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus“. Seine radikalen Ansichten führten dazu, dass er sowohl von der katholischen Kirche als auch von den Reformatoren abgelehnt wurde. Zudem kritisierte er die damals vorherrschende, aus der Antike stammende Säftelehre und führte stattdessen chemische Prinzipien in die Medizin ein. Er betonte die Bedeutung von Dosierung („Die Dosis macht das Gift“), was ihn zu einem Vorreiter der Pharmakologie machte.
17. Jahrhundert: Louise de Marillac legt mit den Barmherzigen Schwestern den Grundstein für das heutige Konzept der Inklusion
Louise de Marillac war eine Ordensgründerin, die im 17. Jahrhundert in Frankreich lebte. Sie gilt als als Pionierin der organisierten Krankenpflege außerhalb klösterlicher Mauern. Unter ihrer Leitung wuchs der Orden der Barmherzigen Schwestern (Vinzentinerinnen) zu einem der ersten mobilen Pflegeorden Europas heran. Als ihr Unterstützer gilt der Priester Vinzenz von Paul, der Begründer der neuzeitlichen Caritas. Heute wird Louise de Marillac in der römisch-katholischen Kirche als Schutzpatronin aller Sozialarbeiter verehrt. Ihr Gedenktag ist der 15. März.
Ihr Wirken war getragen von der Überzeugung, dass christliche Nächstenliebe nicht hinter Klostermauern stattfinden dürfe, sondern dort, wo die Not am größten ist – unmittelbar unter den Armen, Kranken und Ausgegrenzten. Damit verwirklichte sie bereits im 17. Jahrhundert ein Leitbild, das den modernen Konzepten von Inklusion und sozialer Teilhabe in vielerlei Hinsicht ähnelt. Anstatt nur jene zu betreuen, die selbst ins Kloster kamen, bewegten sich die Vinzentinerinnen frei in Städten und Dörfern, um Arme und Kranke direkt vor Ort zu betreuen – in Spitälern, Armenhäusern, auf der Straße oder bei den Menschen zu Hause.
17. Jahrhundert: Der Beginn des wissenschaftlichen Denkens
Mit dem Zeitalter der Aufklärung, die ihre Hochphase im 17. Jahrhundert erreichte, wurden Krankheiten nicht mehr als göttliche Strafen betrachtet, sondern als natürliche Phänomene, die wissenschaftlich untersucht und behandelt werden konnten. Die Denkrichtung der Aufklärung förderte ein materialistisches Weltbild, in dem spirituelle Elemente keinen Platz mehr fanden. Das holistische Verständnis des Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele wich einem reduzierten Bild, das nur den Körper berücksichtigte. Dies führte zu einem Paradigmenwechsel in vielen Bereichen des Wissens und der Gesellschaft.
18. Jahrhundert: Pflege wird zum Beruf
Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich die Pflege in Europa von informellen Praktiken zu einer formellen Berufsausbildung und einer anerkannten Profession. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wurden vermehrt Pflegekräfte ausgebildet.
Das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien (AKH) wurde 1784 eröffnet. Dieses Krankenhaus war das erste seiner Art in Wien, das ausschließlich der medizinischen Versorgung diente und eine rein staatliche Einrichtung war. Frühere Krankenhäuser, etwa das Heiligen-Geist-Spital (gegründet im 13. Jahrhundert) war eine kirchliche Einrichtung.
3.4. Die Moderne: 19. Jahrhundert bis heute
19. Jahrhundert: Die Epoche der Ersten industriellen Revolution
19. Jahrhundert: Das Lohnwärtertum verschwindet
Das Lohnwärtertum bezeichnet eine Form der Krankenpflege, bei der männliche Pflegekräfte – sogenannte Lohnwärter – gegen Bezahlung einfache pflegerische Tätigkeiten in Krankenhäusern übernahmen. Diese Männer verfügten in der Regel über keine formelle Ausbildung und wurden hauptsächlich für körperlich anspruchsvolle Aufgaben wie das Heben und Tragen von Patienten eingesetzt. Im 19. Jahrhundert begann ein Wandel in der Pflegepraxis. Das Lohnwärtertum wurde schrittweise durch eine organisierte und qualifizierte Pflege ersetzt.
19. Jahrhundert: Theodor Fliedner reformiert die Arbeit der Diakonissen
Der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner aus Deutschland gilt als Erneuerer des Diakonissenamtes und prägte damit die Entwicklung der modernen Krankenpflege. Gemeinsam mit seiner Frau Friederike gründete er die erste Diakonissenanstalt, die unverheirateten Frauen eine Ausbildung in Krankenpflege bot.
Die Diakonissenanstalt kombinierte praktische Pflege, Bildung und geistliches Leben und wurde zum Vorbild für zahlreiche ähnliche Einrichtungen weltweit. Florence Nightingale, die als Begründerin der modernen Krankenpflege gilt, verbrachte 1850 einige Monate in Kaiserswerth, um sich in der Diakonissenanstalt weiterzubilden.
Diakonissen sind Frauen, die sich in evangelischen Gemeinschaften dem Dienst am Nächsten widmen, insbesondere in der Krankenpflege, Altenhilfe, Kinderbetreuung und anderen sozialen Bereichen.
19. Jahrhundert: Henry Dunant gründet das Rote Kreuz
Der Schweizer Geschäftsmann und Humanist Henry Dunant ist der Begründer der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Er wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
19. Jahrhundert: Florence Nightingale entwickelt das erste Pflegemodell der modernen Pflege
Florence Nightingale war eine britische Krankenschwester, die als erste auf wissenschaftlicher Basis pflegte. Sie benannte Hygiene, Ernährung, sauberes Wasser, Licht, frische Luft und Ruhe als Einflussfaktoren für die Genesung. Ihre Nightingalesche Umwelttheorie gilt als erstes Pflegemodell der modernen Pflege. Sie gilt heute als Mutter der professionellen Pflege. Der Internationale Tag der Pflege am 12. Mai ehrt ihr Vermächtnis.
Die bekannteste Geschichte von Florence Nightingale ist jene, als sie in der Zeit des Krim-Kriegs 1854 mit 38 freiwilligen Krankenschwestern in das britische Militärlazarett nach Scutari (heute Istanbul) entsandt wurde. Die Zustände dort waren katastrophal: mangelnde Hygiene, kaum medizinisches Material, hohe Sterblichkeitsraten. Nightingale sorgte für Sauberkeit, bessere Ernährung und eine grundlegende Reorganisation des Lazaretts. Innerhalb kurzer Zeit sank die Sterblichkeitsrate drastisch. In den Nächten ging sie mit einer Lampe in der Hand durch die langen Flure und Zelte, um nach den Verwundeten zu sehen – still, fürsorglich, aufmerksam. Von den britischen Soldaten erhielt sie aufgrund dessen den Beinamen „Lady with the Lamp“.
19. Jahrhundert: Theodor Billroth
Der österreichische Chirurg Theodor Billroth setzte sich im 19. Jahrhundert für die Etablierung einer professionellen Ausbildung für Pflegekräfte ein und bot dazu eine dreijährige Ausbildung auf der chirurgischen Abteilung des AKH an. Er war Professor an der Universität Wien und leitete die chirurgische Klinik im AKH.
Billroth war ein Vertreter einer medizinischen Elite, die die Pflege als unentbehrliche Ergänzung zur ärztlichen Kunst verstand – jedoch unter dem klaren Vorrang ärztlicher Autorität. Er sprach sich für strukturierte und fachlich fundierte Pflegeausbildung aus. In Wien förderte er die Zusammenarbeit mit den Barmherzigen Schwestern, die unter klar geregelten Bedingungen in den von ihm geleiteten Kliniken tätig waren. Seine hohen Anforderungen an Hygiene, Disziplin und fachliche Zuverlässigkeit führten dazu, dass sich die Pflege zunehmend von rein karitativer Tätigkeit hin zu einer fachlich anspruchsvollen Aufgabe entwickelte.
Die Pflege wurde durch seine chirurgischen Neuerungen mit neuen Anforderungen konfrontiert – etwa in der Wundversorgung, im Umgang mit Infektionen und in der postoperativen Betreuung.
Im Allgemeinen Krankenhaus in Wien wurden ab 1882 unter Billroths Leitung erstmals Barmherzige Schwestern systematisch in einem festen Rahmen praktisch ausgebildet, und zwar über einen Zeitraum von drei Jahren. Diese Ausbildung war eng an die klinische Praxis der von ihm geleiteten chirurgischen Abteilung gebunden. Die Ausbildung war jedoch kirchlich organisiert und stand ausschließlich Ordensschwestern offen.
Trotz seiner Wertschätzung für gut ausgebildete Pflegekräfte blieb sein Pflegeverständnis aber im Rahmen der Zeit stark patriarchalisch und autoritär geprägt: Krankenschwestern sollten effizient, gehorsam und loyal handeln – immer unter ärztlicher Leitung. Eine eigenständige Pflegewissenschaft oder professionelle Autonomie war aus seiner Sicht nicht vorgesehen.
20. Jahrhundert: Die Epoche der großen Kriege
20. Jahrhundert: Agnes Karll gründet die erste Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen und reformiert die Pflegeausbildung
Die Krankenschwester Agnes Karll war die Gründerin der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (BOKD), die 1903 in Berlin ins Leben gerufen wurde. Diese Organisation gilt als Vorläufer des heutigen Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK). Im Jahr 1909 wurde sie die Präsidentin des International Council of Nurses (ICN).
Agnes Karll setzte sich für die Professionalisierung der Krankenpflege ein, indem sie eine dreijährige Ausbildung mit staatlicher Prüfung forderte und die Bezeichnung „Krankenschwester“ etablierte.
Durch ihr Engagement wurde 1907 in Preußen eine staatliche Prüfungsverordnung für Pflegekräfte eingeführt. In Österreich wurde die staatliche Regulierung der Pflegeausbildung erstmals mit dem Krankenpflegegesetz von 1961 eingeführt. Eine dreijährige Pflegeausbildung konnte in Österreich jedoch bereits ab 1882 im AKH Wien unter der Leitung von Theodor Billroth absolviert werden.
In Österreich entspricht der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) dem deutschen Pendant der Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands (BOKD), die 1903 von Agnes Karll gegründet wurde. Der ÖGKV wurde erstmals 1933 als „Verband der diplomierten Krankenpflegerinnen Österreichs“ ins Leben gerufen. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde der Verband aufgelöst und erst 1948 unter dem Namen „Vereinigung diplomierter Krankenschwestern und Krankenpfleger Österreichs“ neu gegründet.
20. Jahrhundert: Pflege in der NS-Zeit
In der NS-Zeit stagnierte die Weiterentwicklung der professionellen Pflege. Pflegekräfte wurden nicht mehr als eigenständige Berufsgruppe mit fachlicher Kompetenz gesehen, sondern unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit für das Regime. Das humanistische Menschenbild musste einem utilitaristischen Menschenbild weichen, das den Menschen primär nach seiner „Nützlichkeit“ für die Volksgemeinschaft bewertete. Im Vordergrund stand ein funktionalistisches Verständnis, in dem PatientInnen auf körperliche Merkmale und ihre Leistungsfähigkeit reduziert wurden. Die Ausbildung der Pflege wurde zunehmend militarisiert, mit einem Fokus auf Gehorsam, Disziplin und körperlicher Tüchtigkeit – nicht auf fachliche oder wissenschaftliche Weiterentwicklung.
Mit eine Rolle spielte auch das Bild der Frau, das die nationalsozialistischen Ideologie propagierte. Im Nationalsozialismus wurden Frauen hauptsächlich als Mütter und Hausfrauen idealisiert. Das führte dazu, dass eine eigenständige berufliche Weiterentwicklung für Frauen systematisch unterdrückt wurde.
Im Rahmen der sogenannten „Erb- und Rassenhygiene“ wurde Pflege zunehmend zum Instrument staatlicher Kontrolle und Selektion. Pflegepersonen wurden in Maßnahmen eingebunden, die tief in ethisch-moralische Abgründe führten. So wirkten einige von ihnen unter dem massiven politischen und wirtschaftlichen Druck etwa bei der Zwangssterilisation oder der Euthanasie (systematische Tötung von Menschen, die dem Regime und ihrer Ideologie nicht nützlich waren) mit. Die Pflege verlor dadurch nicht nur ihre berufsethische Grundlage, sondern auch jeglichen Anspruch auf humane und ganzheitliche Fürsorge.
Selbstbewusste, autonom handelnde Berufsgruppen wurden nicht geduldet. Deshalb wurden in der NS-Zeit auch Berufsverbände wie der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) verboten.
20. Jahrhundert: „Aktion T4“
Die „Aktion T4“ war das staatlich organisierte Euthanasieprogramm des NS-Regimes. Die Betroffenen – PatientInnen aus Heil- und Pflegeanstalten – wurden unter dem Vorwand der Verlegung in andere Einrichtungen deportiert. In Wahrheit wurden sie in speziell eingerichteten Tötungsanstalten mit Gas ermordet. Insgesamt fielen der Aktion T4 (von 1939 bis 1945; 7 Jahre) rund 70.000 Menschen zum Opfer. Aktion T4 war Teil der Krankenmorde, denen bis 1945 über 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Zum Vergleich: In der Zeit zwischen 1450 und 1750 (also in 300 Jahren) fielen rund 100.000 Menschen in Europa dem Hexenwahn zum Opfer.
Ziel der Aktion war es, Menschen, die als „lebensunwert“ galten, aus wirtschaftlichen und rassenideologischen Gründen zu töten. Dazu zählten Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderungen sowie Menschen, die „nicht zur deutschen Rasse“ gehörten.
Trotz ihrer Geheimhaltung drang das Wissen um diese Morde an die Öffentlichkeit. Die Kritik, insbesondere von Kirchenvertretern, führte dazu, dass die Aktion T4 im August 1941 offiziell eingestellt wurde. Doch die Tötungen hörten damit nicht auf. Die anschließend einsetzende Phase wird rückblickend als „wilde Euthanasie“ bezeichnet. Damit meint man die heimliche und dezentrale Fortsetzung der Morde, die nun nicht mehr zentral organisiert, sondern auf lokaler oder regionaler Ebene durchgeführt wurden – häufig in den Anstalten selbst. Diese Tötungen geschahen durch Überdosierungen, gezieltes Verhungernlassen oder unterlassene Pflege. Auch Kinder wurden Opfer, teils unter dem Deckmantel medizinischer Experimente. Die „wilde Euthanasie“ war unübersichtlicher, weniger kontrollierbar und oft noch grausamer.
20. Jahrhundert: Pflege wird akademisiert
Im Jahr 1981 wurden in Österreich die ersten Universitätslehrgänge für lehrendes und leitendes Pflegepersonal eingeführt. Diese Lehrgänge waren meist außerordentliche Studiengänge, die auf diplomiertes Pflegepersonal mit Berufserfahrung abzielten und sie auf Tätigkeiten in der Pflegepädagogik oder im Pflegemanagement vorbereiten sollten.
20. Jahrhundert: Neue Ausbildungsstandards in der Pflege
Am 1. September 1997 trat die Gesetzesnovelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (GuKG) in Kraft. Sie ersetzte das bisherige Krankenpflegegesetz von 1961 und definierte erstmals umfassend die Ausbildungsstandards für Pflegeberufe. Aus der ehemaligen diplomierten Gesundheits- und Krankenschwester wurde der Gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege (DGKP), aus dem ehemaligen Hilfsdienst mit einem kurzen Kurs von 4–6 Wochen wird die Pflegehelferin mit einer einjährigen Ausbildung. Erst seit der GuKG-Novelle 2016 wird die Pflegehelferin Pflegeassistentin genannt.
20. Jahrhundert: Pflegepersonen mit Matura konnten erstmals ein Diplomstudium für Pflegewissenchaft absolvieren
Seit 1999 gibt es an der Uni Wien ein Diplomstudium für Pflegewissenschaften, das Berufsangehörige mit Matura berufsbegleitend absolvieren können. Seit 2008 kann mit dem Studium Gesundheits- und Krankenpflege der akademische Grad des Bachelors erworben werden. Heute werden an der Uni Wien auch ein Masterstudium sowie ein Doktoratsstudium in Pflegewissenschaft angeboten.
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4. Moral
Moral bezeichnet die Überzeugungen einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur.
5. Ethik
Ethik ist eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit Fragen nach der richtigen Haltung, dem richtigen Handeln und den richtigen Entscheidungen befasst. Ethik ist die Reflexion über Moral.
6. Werte
Werte sind die Vorstellungen davon, was in einer Gesellschaft als erstrebenswert, tugendhaft oder gut gilt, zum Beispiel Gerechtigkeit, Freiheit, Ehrlichkeit oder Würde.
7. Normen
Normen sind aus Werten abgeleitete konkrete Verhaltensregeln.
Sie legen fest, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll, um den zugrunde liegenden Wert zu verwirklichen. Zum Beispiel können aus dem Wert „Wertschätzung der Frau“ die Normen „Du sollst einer Frau die Tür aufhalten“ oder „Du sollst der Frau das Essen im Restaurant selbst bezahlen lassen“ entstehen.
8. Pflegeethik
Die Pflegeethik ist ein Bereich der angewandten Ethik, der sich mit moralischen Fragestellungen (Werten und Normen) in der Pflegepraxis befasst.
Sie beschäftigt sich mit den Rechten, Pflichten und Verantwortlichkeiten von Pflegekräften gegenüber Patienten, Angehörigen, Kollegen und der Gesellschaft. Dabei steht das Wohl des Pflegebedürftigen im Mittelpunkt.
Die vier ethischen Grundprinzipien nach Beauchamp und Childress:
• Fürsorge (Benefizienz)
• Autonomie
• Nicht-schaden (Non-Malefizienz)
• Gerechtigkeit
🫏 Eselsbrücke: FANG 🫏
Gerne beschreibe ich die vier ethischen Grundprinzipien der Pflege und gebe zu jedem Prinzip ein Beispiel:
Fürsorge (Benefizienz)
Die Pflegende fördert und hilft PatientInnen. Sie handelt mitfühlend, lindert Leiden und verbessert die Lebensqualität der Betroffenen.
Beispiel: Eine Pflegekraft nimmt sich Zeit, um einer demenzkranken Bewohnerin täglich in Ruhe bei der Körperpflege zu helfen, auch wenn es länger dauert, weil sie dadurch Sicherheit und Vertrauen erfährt.
Autonomie
Die Pflegende achtet und unterstützt die Selbstbestimmung der betreuten Menschen. Pflegebedürftige sollen über ihre Pflege und Behandlung informiert entscheiden können.
Beispiel: Ein Patient mit fortgeschrittener Erkrankung entscheidet sich gegen eine künstliche Ernährung. Die Pflegekraft respektiert diese Entscheidung, obwohl sie persönlich anderer Meinung ist.
Nicht-Schaden (Non-Malefizienz)
Die Pflegende wählt bei Maßnahmen das gelindere Mittel, das den wenigsten Schaden zufügt.
Beispiel: Eine Pflegeperson verzichtet auf die Gabe eines starken Schmerzmittels, das zwar kurzfristig Linderung bringt, aber beim betagten Patienten gefährliche Nebenwirkungen wie Atemdepression verursachen könnte.
Gerechtigkeit
Die Pflegende teilt die Ressourcen unter allen Bedürftigen gerecht auf. Merkmale wie Alter, Geschlecht, Nationalität, Sexualität, sozialer Status spielen dabei keine Rolle.
Beispiel: Zwei Patientinnen benötigen gleichzeitig Hilfe beim Waschen. Die Pflegekraft beurteilt den Bedarf sachlich und unterstützt zuerst diejenige, die sich aktuell gar nicht allein helfen kann, unabhängig von Sympathie oder Dringlichkeitsgefühl der anderen.
8.1. Die Handlungsfelder der Pflegeethik
- Pflegepraxis
- Pflegepädagogik
- Pflegemanagement
- Pflegewissenschaft
8.2. Verantwortung in der Pflege
Verantwortung bedeutet, dass die Pflegeperson nicht nur für etwas (z.B. ihr Handeln), sondern auch gegenüber jemandem (z.B. dem Patienten) verantwortlich ist und sich vor einer urteilenden Instanz zu rechtfertigen hat. Die Schnittstellen, die den Verantwortungsbegriff definieren, sind der Patient und das Recht.
9. Der ICN-Ethikkodex für Pflegende
Berufskodex Definition:
Ein Berufskodex ist ein schriftlich formulierter Orientierungsrahmen für berufliches Handeln. Er ist nicht rechtlich bindend wie ein Gesetz, hat aber eine hohe berufsethische Verbindlichkeit.
ICN = International Council of Nurses (Weltbund der Pflegenden)
Der „ICN-Ethikkodex“ ist der bekannteste Berufskodex für Pflegepersonen, der vom International Council of Nurses herausgegeben wird.
Die vier grundlegenden Aufgaben von Pflegepersonen laut ICN-Ethikkodex
• Gesundheit fördern
• Krankheit verhüten
• Gesundheit wiederherstellen
• Leiden lindern
Die vier Grundelemente ethischen Verhaltens laut ICN-Ethikkodex
Der ICN-Ethikkodex für Pflegepersonen umfasst vier Hauptelemente, die einen Rahmen für ethisches Verhalten bilden:
Pflegeperson und …
1. Pflegebedürftige
2. Praxis
3. Profession
4. Globale Gesundheit
Laut dem aktuellen ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen umfasst dieser vier Grundelemente, die den Rahmen für ethisches Verhalten bilden.
- Pflegebedürftige – Pflegende fördern ein Umfeld, in dem Menschenwürde, Menschenrechte, kulturelle Werte, Religion und Tradition respektiert werden1). Informationen werden verständlich an die Pflegebedürftigen weitergegeben, damit diese informierte Entscheidungen (Einwilligung) treffen können. Pflegende wahren die Privatsphäre persönlicher Informationen2).
- Praxis – Jede Pflegefachperson trägt persönlich die Verantwortung dafür, dass sie ethisch einwandfrei praktiziert3). Dazu gehört auch die kontinuierliche Fortbildung zur Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenz. Pflegekräfte treten als FürsprecherInnen ihrer PatientInnen und deren Angehörigen auf und sorgen aktiv für Sicherheit in der Versorgung – beispielsweise indem sie Fehler oder Risiken in der Pflege offen ansprechen und melden4).
- Profession – Hier geht es um die Verantwortung gegenüber dem Berufsstand und der Weiterentwicklung der Pflege als Profession. Pflege basiert auf evidenzbasierten Standards. Der Ethikkodex fordert Pflegende auf, die fachlichen Standards zu bewahren und an deren Weiterentwicklung mitzuwirken5). Pflegende tragen zu einem positiven, ethischen Arbeitsumfeld und einen respektvollen Umgang mit Kolleginnen und Kollegen bei 6).
- Globale Gesundheit – Gesundheit ist ein Menschenrecht, und Pflegefachpersonen tragen laut Kodex Mitverantwortung dafür, dieses Recht weltweit zu verwirklichen7). Entsprechend setzen sie sich für eine solide Gesundheitspolitik und für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) ein. Dies schließt beispielsweise Engagement gegen den Klimawandel und die Minderung seiner gesundheitlichen Folgen ein8). Der ICN-Kodex betont, dass globale Gesundheit länderübergreifend in Zusammenarbeit entwickelt und erhalten werden soll9).
10. Ethische Dilemata
Ethische Dilemmata entstehen, wenn zwei oder mehr moralische Prinzipien oder Werte in Konflikt geraten und eine Entscheidung getroffen werden muss, die unweigerlich eine dieser Normen verletzt. In solchen Situationen gibt es keine einfache oder eindeutige Lösung, sondern nur eine Abwägung zwischen verschiedenen moralischen Verpflichtungen.
Ein klassisches Beispiel für ein ethisches Dilemma in der Pflege:
Eine bewusstseinsklare, krebskranke Patientin im Endstadium möchte keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr und bittet darum, auf weitere Therapien zu verzichten. Gleichzeitig drängt die Familie darauf, alles medizinisch Mögliche zu tun, um das Leben der Patientin zu verlängern – auch gegen deren Willen.
Hier stehen zwei zentrale ethische Prinzipien in Konflikt:
– Autonomie der Patientin (ihr Recht auf Selbstbestimmung),
– Fürsorge im Sinne der Familie (die das Leben der Patientin erhalten möchte und emotional belastet ist).
Egal wie sich das Pflegepersonal oder das Team entscheidet – ein ethisches Prinzip wird in gewisser Weise verletzt. Die Lösung erfordert eine sorgfältige ethische Abwägung, klare Kommunikation mit allen Beteiligten und oft auch interdisziplinäre Beratung, etwa durch ein Ethikkomitee.
11. Patientenrechte
🪢 🧩💡Erinnerungsknoten: s. Recht💡🧩 🪢
12. Angehörigenpflege
Angehörigenpflege ist informelle Pflege. Es handelt sich um Pflege durch einen Familienangehörigen bzw. durch eine Bezugsperson ohne professionellen Hintergrund.
13. Informelle Pflege und formelle Pflege
Der Unterschied zwischen informeller Pflege und formeller Pflege ist die Professionalisierung:
• Ausbildung / Qualifikation
• Erfahrung
• rechtliche Bindung
• Bezahlung
13.2. Die Bedeutung von Angehörigen im Genesungs- und Pflegeprozess
Angehörige bieten emotionale Unterstützung, kennen die Lebensgewohnheiten, bringen Kontinuität in den Lebensalltag, sind erster Ansprechpartner für die Patientin. Im Pflegeprozess sind sie wichtige Informations- und Kooperationspartner.
Quellen:
1) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
2) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
3) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
4) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
5) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
6) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
7) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
8) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere
9) ICN Ethikkodex für Pflegende | Medi-Karriere