Kommentarliteratur zum Thema „Verbandswechsel“ des Fachs „Pflegetechnik“
17.10.2025
Die Pflegeassistenz führt ausschließlich einfache Wundversorgungen durch (§ 83 GuKG). Doch wo genau verläuft die Grenze zwischen einfacher und komplexer Wundversorgung?
Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage stößt man auf verschiedene, voneinander abweichende Erklärungen:
- Thieme definiert – vereinfacht ausgedrückt – komplexe Wunden als solche, die Inflammationen, Infektionen, Nekrosen oder eine verzögerte Wundheilung aufweisen[1].
- Im DocCheck Flexikon wiederum werden komplexe Wunden als solche beschrieben, die über die Körperfaszie hinaus reichen und Strukturen wie Nerven, Gelenke oder Sehnen betreffen können[2].
- In der Broschüre „Standards chronische Wunden“ der Initiative Chronische Wunde (ICW) werden komplexe Wunden als chronische oder schwer heilende Wunden bezeichnet[3].
- Hall et al. (2014) definieren komplexe Wunden als Hautdefekte, die durch sekundäre Wundheilung heilen[4].
Während also laut Thieme einfache Wunden solche sind, die keine Inflammation, Infektionen, Nekrosen oder eine verzögerte Wundheilung aufweisen, handelt es sich laut DocChec dann um eine einfache Wunde, wenn sie anatomisch nicht tiefer reicht als maximal zum Faszienniveau. Im Verständnis der ICW ist eine einfache Wunde keine „chronische“ Wunde, das heißt, wenn davon ausgegangen wird, dass sie im üblichen Zeitfenster (ca. 8 Wochen) ohne ursachenbezogene Spezialtherapie abheilt. Laut Hall et al. (2014) sind einfache Wunden primär heilend, also ohne größere Komplikationen oder Infektionsgefahr.
Fehlende offizielle Definition von „einfache“ vs. „komplexe“ Wunde
Weder das GuKG noch zugehörige Verordnungen definieren explizit, wann eine Wundversorgung „einfach“ oder „komplex“ ist. Der Gesetzestext verwendet den Begriff „einfache Wundversorgung“ ohne weitere Erläuterung. Auch in pflegefachlichen Standards oder Richtlinien des Gesundheitsministeriums bzw. des ÖGKV finden sich keine formalen Definitionen dieser Begriffe. Es bleibt also einer fachlichen Einschätzung vorbehalten, ob eine konkrete Wundsituation noch als „einfach“ gilt oder bereits als komplex einzustufen ist.
Praktische Umsetzung der Abgrenzung: Das Wunddebridement
In professionellen Wundversorgungssettings (z.B. in Wundambulanzen) werden komplexe Wunden interdisziplinär versorgt – unter ärztlicher Leitung und durch speziell geschulte Wundexperten* (dipl. Pflege mit Zusatzqualifikation) durchgeführt. Die Pflegeassistenz übernimmt in solchen Fällen vor allem zuarbeitende Tätigkeiten, wie etwa das Bereitstellen von Materialien und die Beobachtung des Zustands – die eigentliche Wundbehandlung wird vom Fachpersonal durchgeführt[4].
Die Wundversorgung übernimmt die Pflegeassistenz dann, wenn der Arzt* bzw. die diplomierte Pflegekraft feststellt, dass es sich um eine einfache Wundversorgung handelt. Da es keine starren gesetzlichen Definitionen gibt, liegt die Verantwortung für die richtige Einstufung einer Wundsituation bei den Diplomierten Pflegepersonen und den Ärzten*. Die einzige Ausnahme stellen Notfälle dar – in diesen Situationen ist die Pflegeassistenz verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten.
Natürlich muss auch die Pflegeassistenz selbst abschätzen können, ob es sich bei der Wunde, die sie versorgt, um eine einfache Wunde handelt. Aus diesem Grund erscheint eine eindeutige und praktikable Abgrenzung sinnvoll und notwendig. In der Praxis hat sich eine Abgrenzung etabliert, die sich an einem bestimmten Merkmal orientiert: am Wunddebridement.
Was ist das Wunddebridement?
Nekrosen, fibrinöse Beläge und Fremdkörper bestehen aus abgestorbenem, nicht mehr durchblutetem Gewebe bzw. aus Material, das der Körper als fremd erkennt. Sie bilden den idealen Nährboden für Bakterien, die Infektionen verursachen und eine Entzündungsreaktion in Gang setzen können. Wunddebridement ist immer dann indiziert, wenn der physiologische Wundheilungsprozess durch geschädigtes und abgestorbenes Gewebe oder durch Fremdkörper beeinträchtigt ist. Dabei handelt es sich um das gezielte Entfernen von abgestorbenem (devitalem) oder infiziertem Gewebe aus einer Wunde. Ziel des Wunddebridements ist es, ein sauberes, gut durchblutetes Wundbett zu schaffen, damit der natürliche Heilungsprozess wieder einsetzen kann.
Das Wunddebridement gehört nicht zum Aufgabenbereich der Pflegeassistenz. Die Notwendigkeit eines Wunddebridements erscheint daher als das geeignetste Kriterium, an dem sich die Pflegeassistenz in der praktischen Abgrenzung orientieren kann.
Was tun, wenn die Pflegeassistenz beim Verbandswechsel auf eine komplexe Wunde stößt?
Bei der einfachen Wundversorgung stehen folgende Maßnahmen im Mittelpunkt:
• die Reinigung
• die Desinfektion
• das Anlegen eines sauberen Verbandes[5]
Erkennt die Pflegeassistenz Veränderungen an der Wunde, die auf eine Situation hinweisen, in der ein Wunddebridement erforderlich sein könnte – etwa Anzeichen von Nekrosen, Infektion oder verstärkter Exsudation –, kann sie laut entsprechenden Standards und der rechtlichen Kompetenzpflege folgendermaßen vorgehen:
• abgenommenen Verband sicher aufbewahren, wenn sich darauf Gewebeanteile oder Exsudat befinden, die auf eine mögliche Infektion oder Gewebszerfall hinweisen, und diesen der diplomierten Pflegeperson zur weiteren Einschätzung vorlegen.
• Fotodokumentation der Wunde anfertigen und diese der diplomierten Pflegeperson oder dem Arzt* zur Beurteilung vorlegen
• Wunddokumentation: Beschreibung der Wunde (Geruch, Farbe, Menge des Exsudats, sichtbares Gewebe) und Vorlage bei der diplomierten Pflegeperson oder dem Arzt*. In der Pflegedokumentation sollte vermerkt werden, dass beim Verbandwechsel eine komplexe Wunde festgestellt wurde, welche Maßnahmen gesetzt wurden (z. B. Abdeckung, Information weitergeleitet, Fotodokumentation erstellt) und an wen die Information weitergegeben wurde.
• Abdecken der Wunde mit einem sauberen, provisorischen Verband, bis die weitere Versorgung fachgerecht übernommen wird
In der Praxis hat sich die klare Abgrenzung über das Wunddebridement als praktikabel erwiesen: Die Pflegeassistenz führt keine Debridements durch – und genau darin kann der zentrale Unterschied zwischen einfacher und komplexer Wundversorgung festgemacht werden. Sollten Sie sich jedoch unsicher sein, ziehen Sie besser einen Arzt* oder eine diplomierte Pflegeperson hinzu. Zwar ist die Orientierung am Wunddebridement als Abgrenzungskriterium pflegepraktisch sinnvoll und in Österreich fachlich gut begründet, rechtlich ist diese Einteilung jedoch nicht ausdrücklich festgelegt.
Quellen:
[1] Thieme, Optimizing Wound Care, thieme-connect.de
[2] DocCheck, „Wunde“, flexikon.doccheck.com
[3] Initiative Chronische Wunden e.V., Diagnostik und Therapie chronischer Wunden, icwunden.de
[4] Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe „Alterung und Wundheilung“, „Die Versorgung chronischer Wunden durch das österreichische Gesundheitssystem“, akademie-zwm.ch
[5] Kompetenz der Pflegeassistenz: Verbandswechsel, fachsozialbetreuer.co.at
Beitragsbild: pixabay.com, @Franio