Kommentarliteratur zum Thema des Fachs „Pflegeprozess“
15.03.2025
Jede Textsorte hat ihren Zweck. Ein Roman soll unterhalten, ein Kommentar vermitteln und eine Meldung informieren. Die Pflegedokumentation erfüllt eine ganz eigene Funktion: Sie ist ein Arbeitsinstrument, das Verlaufskontrolle und rechtliche Absicherung verbindet. Obwohl sie weder literarisch noch journalistisch ambitioniert ist, folgt sie festen sprachlichen und strukturellen Regeln – und ist dadurch eine besondere Textsorte.
Wertend oder nicht: Das ist hier die Frage
Textsorten lassen sich in wertende und nicht wertende Stilrichtungen unterteilen. Sie dienen der Meinungsbildung und zeigen Perspektiven auf. Wertende Texte wie etwa die Kritik oder der Kommentar unterscheiden sich von rein informativen Texten dadurch, dass sie nicht nur Fakten darstellen, sondern auch eine Haltung vermitteln.
Wertende Texte: Derselbe Film, mal „hot“, mal „not“
Wertende Texte spiegeln stets die persönliche Sicht des Verfassers wider. Weil jeder Mensch seine eigenen Bewertungskriterien hat, wird derselbe Film mal als herausragend, mal als völlig misslungen bewertet. Während der eine seine positive Einschätzung mit der gelungenen Filmmusik begründet, kritisiert der andere die schlechten Kostüme als maßgeblichen Schwachpunkt.
Die Pflegedokumentation: Nicht der Verfasser, sondern der Leser wertet
Der Nachteil wertender Texte liegt darin, dass sie keinen Raum für die eigenen Gedanken des Lesers lassen. Eine Interpretation setzt sich ausschließlich mit den Überlegungen des Verfassers auseinander. Solche Texte eignen sich daher gut zur Unterhaltung in der Freizeit, sind jedoch ungeeignet für das Berufsleben, wo es darauf ankommt, einem interdisziplinären Team die eigenen Beobachtungen so präzise wie möglich zu schildern. Die Analyse erfolgt dann erst durch den Leser – beispielsweise durch den Arzt, den Psychotherapeut oder den Patienten selbst (der Patient hat das Recht auf Akteneinsicht!).
„Der Patient spricht heute weniger als ĂĽblich.“
Die Ärztin: Könnte dies als Zeichen einer Verbesserung der Schmerzsymptomatik interpretieren, da der Patient weniger klagt.
Die Psychotherapeutin: Könnte es als Ausdruck einer inneren Auseinandersetzung deuten.
Die Pflegekraft: Könnte es als veränderte Stimmungslage werten.
Die Logopädin: Könnte überlegen, ob dies ein Hinweis auf eine veränderte Sprachfähigkeit ist.
Formel: Meldung + Protokoll = Pflegedokumentation
Die Pflegedokumentation ist eine Kombination aus den Textsorten Meldung und Protokoll. Sie enthält das genaue Datum, die exakte Uhrzeit sowie die Namen aller Beteiligten, ähnlich einem Protokoll. Gleichzeitig ist sie telegrammähnlich aufgebaut und stellt eine Begebenheit sachlich und objektiv dar, wie es für eine Meldung typisch ist. Dabei hält sich auch die Pflegedokumentation an die W-Fragen, aber in reduzierter Anzahl: Das Warum? und Wozu? fällt weg. Anders als die beiden anderen Textsorten wird die Pflegedokumentation jedoch nicht im Perfekt oder Präteritum, sondern ausnahmslos im Perfekt verfasst. Das verleiht dem Text seinen klassischen dokumentarischen Charakter, der typisch für Urkunden ist. Denn die Pflegedokumentation dient als rechtssicheres Dokument (Urkundenstatus!).
Die Patientin möchte heute Mittag nicht essen. Auch die Aufforderung, das Essen doch wenigstens zu probieren, verweigert sie.
Die Pflegedokumentation ist eine Situationsbeschreibung mit dem Ziel, einen lückenlosen Informationsfluss zu gewährleisten und Ereignisse und Leistungen verbindlich zu dokumentieren. Darüber hinaus dient sie als wesentliches Instrument der Qualitätssicherung. Sie ermöglicht eine standardisierte und nachvollziehbare Versorgung der Patientinnen und trägt zur kontinuierlichen Verbesserung der Pflegeprozesse bei.
Um zu gewährleisten, dass Informationen möglichst genau und vollständig erfasst werden, ohne dabei wichtige Details zu vergessen, sollte die Pflegedokumentation zeitnah und möglichst knapp nach dem Ereignis/der Beobachtung erfolgen (Authentizität!). Eine zeitnahe und möglichst lückenlose Dokumentation ist auch deshalb wichtig, da sie als rechtliches Beweismittel dient, das im Falle von Haftungsfragen eine entscheidende Rolle spielt (Sicherheit!). Bei fehlenden oder unzureichenden Einträgen kann es zu einer Beweislastumkehr kommen, wodurch die Pflegekraft oder die Einrichtung ihre ordnungsgemäße Arbeit nachweisen muss.
Die fĂĽnf W-Fragen der Pflegedokumentation
Um eine nachvollziehbare Dokumentation zu verfassen, hält sich die Pflegekraft am besten an die fünf zentralen W-Fragen der Pflegedokumentation.
1. Wann?
2. Wo?
3. Wer?
4. Was?
5. Wie?
Fragen nach dem „Warum“ (z. B. Warum hat der Patient Schmerzen?) oder „Wozu“ (z. B. Wozu wurde eine bestimmte Maßnahme durchgeführt?) gehören eher in ärztliche Diagnosen oder Pflegeplanungen, und nicht in eine neutrale, verlaufsbezogene Dokumentation.
Das wird dokumentiert:
• Beobachtungen und direkte Äußerungen
• Messwerte
• Untersuchungsbefunde
• ärztliche Anordnungen, Therapien
• durchgeführte Pflegemaßnahmen
Datum/Uhrzeit: 14.03.2025, 08:30 Uhr
Patient X klagt im Bett über anhaltende Übelkeit und Schwindel („Mir ist schlecht, und mein Kopf dreht sich“). Haut blass, leicht kaltschweißig. Patient bittet um Bedarfsmedikation gegen Übelkeit (MCP Tropfen, lt. ärztlicher Anordnung), 10 Tropfen in 10 ml Wasser oral verabreicht.
Messwerte:
Blutdruck: 95/60 mmHg
Puls: 88/min
Temperatur: 37,2 °C
Blutzucker: 105 mg/dl
Eine Pflegedokumentation ist eine Situationsbeschreibung mit dem Anspruch, echt, ordentlich und professionell zu sein. Echtheit bedeutet, dass alle Eintragungen wahrheitsgemäß, objektiv und nachvollziehbar sind, ohne nachträgliche Manipulationen oder Falschangaben. Nur tatsächlich durchgeführte Maßnahmen dürfen dokumentiert werden, und Änderungen müssen klar gekennzeichnet sein. Ordnung erfordert eine strukturierte, chronologische und lückenlose Erfassung aller relevanten Informationen, damit sie schnell und effizient abrufbar sind. Das äußere Erscheinungsbild spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Dokumentation muss leserlich, sauber und einheitlich sein, unklare oder hastige Einträge können Missverständnisse verursachen und den Pflegeprozess beeinträchtigen (Eindeutigkeit). Wie beim Protokoll müssen die Eintragungen in der Pflegedokumentation mit Datum, Uhrzeit und Namen versehen sein (welche heutzutage meist automatisch erfasst werden). Fehleinträge müssen immer leserlich bleiben und dürfen nur sauber durchgestrichen werden.
Häufig verwendete Formulierungen
• (oral/intravenös/subkutan) verabreicht
• (Hautfarbe/Gesichtsausdruck/Körperhaltung) beobachtet
• (Seitenlage/Oberkörper erhöht/Beine entlastet) positioniert
• (Blutdruck/Puls/Temperatur) gemessen
• (beim Aufstehen/Gehen/Waschen) unterstützt
• (Patientin/Patient) berichtet (über Schmerzen/Unwohlsein/Schlafqualität)
• (Salbe/Verband/Inhalation) angewendet
• (Atmung/Kreislauf/Wundheilung) überwacht
• (Hautzustand/Mobilität/Schmerzempfinden) verbessert
• (Kreislauf/Blutdruck/Allgemeinzustand) stabil
• (Atmung/Wundheilung/Hautbild) unauffällig
• auffällige (Rötung/Schwellung/Hämatome) am Oberarm (dexter/sinister)
• ruhig (schlafend/atmend/verhalten)
• schmerzfrei (in Ruhe/bei Bewegung/nach Medikation)
• (Schwellung/Unruhe/Schmerz) reduziert
• (Spastik/Unruhe) verstärkt
• ansprechbar (zeitlich/orientiert/kooperativ)
• situativ (unruhig/ängstlich/delirant)
• (Schmerzen/Atmung/Krämpfe) intermittierend
Die Pflegedokumentation ist eine berufsspezifische Textsorte, die mit der gleichen Sorgfalt wie ein medizinischer Befund verfasst werden sollte. Strukturell ähnelt sie der Meldung und dem Protokoll, folgt jedoch fünf statt sieben W-Fragen und wird konsequent im Präsens gehalten. Da sie den Status einer Urkunde hat, ist eine gewissenhafte Erstellung unerlässlich.
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