Kommentarliteratur zum Thema „Ausscheidungen“ des Fachs „Pflegetechnik“
15.03.2025
Ein arabisches Sprichwort sagt: „Im Darm sitzen Tod und Leben“. Und es ist die Pflegeassistenz, die diese Zeichen als erste deutet. Die unscheinbare, oft respektlos belächelte Tätigkeit der Pflegeassistenz ist in Wahrheit Gesundheitsdetektion auf höchstem Niveau – eine Schnittstelle zwischen Körperpflege, Wissen und klinischer Intuition.
Exkremente: diagnostische Indikatoren seit der Antike
„Wenn der Urin stinkt, gar zu dünn oder zu dick und schwarz von Farbe ist, so kann sich der Kranke allmählich auf seine letzte Reise vorbereiten“*2). Schon in der Antike erkannte der griechische Arzt Hippokrates den diagnostischen Wert von Ausscheidungen. Urin galt ihm als eines der wichtigsten Anzeichen für den Krankheitsverlauf – extreme Veränderungen in Geruch, Konsistenz oder Farbe deuteten auf eine schlechte Prognose hin. Auch der persische Arzt Avicenna unterstrich die Bedeutung der Harnschau. Im „Kanon der Medizin“, seinem bedeutendsten medizinischen Werk, in dem er die Urindiagnostik systematisierte, hielt er fest: „Der Urin ist ein treuer Wegweiser zur Erkenntnis der Krankheit.“ *1)
Für den einen Pissprophetei, für die anderen diagnostische Meisterschaft
Die Ärzte der Antike waren die geistigen Wegbereiter ihrer mittelalterlichen Nachfolger. Im Mittelalter beurteilten die Ärzte Farbe, Dichte, Bodensatz und Geruch des Urins mit größter Sorgfalt – orientiert an den Vorgaben Avicennas. Daraus zogen sie Rückschlüsse auf das Leiden des Patienten. Diese Kunst hatte viele Bewunderer. Der Franziskaner Berthold von Regensburg (†1272) etwa pries die Fähigkeit der Ärzte, „an einem Glase des Menschen Nature und seinen Siechtum“ erkennen zu können*3). Dies trug dazu bei, dass der durchsichtige Uringlaskolben – die Matula – zum Attribut des Arztes wurde. Er war ein Symbol für die hohe Kunst der Diagnostik, die im damaligen Volksverständnis noch an Zauberei grenzte. Gelehrte Mediziner, oft Mönche oder Kleriker, betrachteten Urin in ihren Phiolen und Matulae, hielten sie gegen das Licht und verglichen ihn mit ausführlichen Harnschau-Tabellen.
Kleinste Farbnuancen wurden unterschieden: von hellgelb über rotgold bis pechschwarz. Jede Farbe signalisierte ein anderes Leiden.*4) Pechschwarzer Urin galt dabei als sicheres Todeszeichen.
Von der Salerno-Schule bis in die frühe Neuzeit wurde die Harnschau als Königsweg der Diagnostik gelehrt. Gleichzeitig regte diese Fokussierung auf Urin aber auch Kritik und Spott an – Paracelsus etwa verhöhnte die Harnschauer des 16. Jahrhunderts als „Pisspropheten“. Dennoch legte die über die Jahrhunderte verfeinerte Beobachtung von Urin den Grundstein für später folgende wissenschaftliche Methoden.*1)
Von der Harnschau zum Labor – Übergang zur Moderne
Im 17. Jahrhundert begann man, die mittelalterliche Empirie durch naturwissenschaftliche Analyse zu ergänzen. Ärzte wie Thomas Willis erkannten den „wunderbar honigsüßen Geschmack des Urins“ als Anzeichen der Zuckerkrankheit – ein Befund, der zur Diagnose von Diabetes mellitus (= „honigsüßer Durchfluss“) führte*5). Zugleich wurden erste chemische Untersuchungen des Urins entwickelt. Zucker und Eiweiß wurden erstmals im Harn nachgewiesen.
Diese frühen Analysen markierten einen Wandel: Was als wahrsagerische Kunst begonnen hatte, wurde nun zur Grundlage der Laboratoriumsmedizin *1). Aus der esoterisch anmutenden Pisspropheterie wurde valide Wissenschaft. Die Pisspropheten hatten mit ihrer Harnschau also mehr recht, als man ihnen lange zugestand. Schritt für Schritt entstand aus der Harn- und Stuhldiagnostik alter Schule eine immer exaktere Labordiagnostik.
Diagnostik von Stuhl und Urin in der Gegenwart
Heutzutage lassen sich zahlreiche Erkrankungen mithilfe moderner Urinanalysen zuverlässig diagnostizieren. Und dennoch werden auch weiterhin erstaunlich treffsichere Beobachtungen allein durch die Harnschau gemacht. So kann etwa dunkelbrauner, bierfarbener Urin mit hellem Schaum auf eine Hepatitis hinweisen (Bilirubinurie als Zeichen einer Leberentzündung)*9), schäumender, proteinreicher Urin wiederum auf Nierenschäden (z. B. ein nephrotisches Syndrom).
Auch der Stuhl des Patienten bleibt weiterhin ein wichtiger Untersuchungsgegenstand. Besonders in der Darmkrebs-Früherkennung spielt er eine wichtige Rolle: Moderne immunologische Stuhltests können unsichtbare Blutspuren im Kot nachweisen*10). Neben okkultem Stuhl können Stuhlproben auch auf andere Marker untersucht werden – z. B. auf tumorbedingte Enzyme oder DNA-Veränderungen*10). Bei Verdacht auf Infektionen dient die mikrobiologische Stuhluntersuchung dem Nachweis von Krankheitserregern. All diese Tests zusammen ergeben ein detailliertes Bild der Krankheit des Menschen.
Aus dem Bauch heraus – was der Darm mit der Psyche zu tun hat
Auch die psychische Gesundheit ist eng mit der Darmgesundheit verknüpft: Viele Patienten mit Autismus oder Schizophrenie leiden beispielsweise an chronischen Verdauungsproblemen. Anhaltender Stress oder Angststörungen können ein Reizdarmsyndrom auslösen*12) und auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) rückt das Mikrobiom als möglicher Mitverursacher immer mehr in den Fokus – Studien legen nahe, dass eine veränderte Darmflora die PTSD-Symptome beeinflussen kann*13). Neue Forschungen zur Darm-Hirn-Achse untermauern diese Zusammenhänge: Billionen von Darmbakterien kommunizieren mit dem Gehirn und beeinflussen dabei Gefühle und Verhalten*14). Demnach steht der Darm in ebenso direkter Verbindung mit dem Gehirn wie die Zunge mit dem Magen.
Die Pflegeassistenz als PissprophetIn – MeisterIn im Zeichenlesen
Hinter der Tätigkeit der Pflegeassistenz verbirgt sich eine stille, aber hochsensible Form medizinischer Beobachtung. Die Pflegeassistenz ist oft die Erste, die Veränderungen in Urin und Stuhl bemerkt – und damit Hinweise auf Entzündungen, Organversagen oder Infektionen erkennt. Mit geschultem Blick und feinem Gespür für Abweichungen wird sie zur modernen PissprophetIn – einer Expertin für das Deuten der ersten Zeichen des kranken Körpers.
Erfahrene PflegeassistentInnen wissen, wenn „etwas nicht stimmt“ – noch bevor Ärztinnen oder Diagnostikgeräte es tun. Und auch, wenn die folgende Aussage für manch Lesenden jetzt esoterisch klingen mag: ihr Blick auf Ausscheidungen kann mit erstaunlicher Präzision den nahenden Tod anzeigen. Das mag unbequem klingen, ist aber Teil einer tiefen Kompetenz, die viel mit Nähe, Vertrauen, Wissen und Erfahrung zu tun hat. Wenn der Stuhl flüssig wird, dann sagt sie: „Der Mensch reinigt sich für seine letzte Reise.“ „Oft“, so sagt sie weiter, „kommt der Tod dann sehr schnell“. Denn wer langsam stirbt, hat wenig Stuhl.
Die moderne Medizin hat die mittelalterliche Harnschau und die traditionellen Beobachtungen des Kots in hochpräzise Tests übersetzt – doch die Grundidee dahinter blieb dieselbe. Ausscheidungen gelten nach wie vor als Spiegel der Gesundheit: Was der Körper ausscheidet, verrät viel darüber, was im Inneren des Körpers vor sich geht.
Quellen:
*1) Looking at the Urine: The Renaissance of an Unbroken Tradition – American Journal of Kidney Diseases
*2) Krankheiten am Duft erkennen – Spektrum der Wissenschaft
*3) Uroskopie – Wikipedia
*4) Troubled Waters: Reading Urine in Medieval Medicine — The Public Domain Review
*5) Diabetes Testing: Evolving from Taste to Test
*6) Urinprobe: Was sagt der Test aus?
*7) Urintests verstehen | Gesundheitsinformation.de
*8) Urinkultur – Nachweis einer Harnwegsinfektion – ZAVA / Stuhluntersuchung auf Bakterien: Salmonellen und Co. | Apotheken Umschau
*9) Urintests verstehen | Gesundheitsinformation.de
*10) Darmkrebs-Früherkennung: Wie Stuhltests funktionieren – ZDFheute
*11) Stuhluntersuchung auf Bakterien: Salmonellen und Co. | Apotheken Umschau
*12) The Gut Microbiome and Mental Health: What Should We Tell Our Patients?: Le microbiote Intestinal et la Santé Mentale : que Devrions-Nous dire à nos Patients? – PMC
*13) The Emerging Role of the Gut Microbiome in Posttraumatic Stress Disorder – PMC
*14) The Gut Microbiome and Mental Health: What Should We Tell Our Patients?: Le microbiote Intestinal et la Santé Mentale : que Devrions-Nous dire à nos Patients? – PMC
*15) The Gut Microbiome and Mental Health: What Should We Tell Our Patients?: Le microbiote Intestinal et la Santé Mentale : que Devrions-Nous dire à nos Patients? – PMC
*16) Brain Energy: The Metabolic Theory of Mental Illness | Psychology Today
*17) Pilot study shows ketogenic diet improves severe mental illness
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