Kommentarliteratur des Fachs Pflegetechnik
10.05.2025
In der professionellen Pflege spielt die Infektionsprophylaxe eine zentrale Rolle. Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen ist der gezielte Einsatz von Antiseptika. Besonders kritisch ist die gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Anwendung von Jodpräparaten und anderen Desinfektionsmitteln. Aus chemischer, pharmakologischer und pflegerischer Sicht gibt es mehrere Gründe, warum diese Kombination als kritisch einzustufen ist.
„Octenisept mit Jod ist dem Profi sein Tod!“
Beide Substanzen, sowohl Jod als auch Octenisept, besitzen eine hohe Wirksamkeit gegen ein breites Spektrum an Mikroorganismen. Zusammen angewendet dürfen sie jedoch nicht werden. Das Mischen oder das direkte Hintereinanderanwenden von Jod und Octenidin auf derselben Haut- oder Wundfläche wird in der professionellen Pflege als Pflegefehler gewertet. Der Grund dafür liegt in ihrer chemischen Inkompatibilität: Treffen diese beiden Stoffe aufeinander, kann es zu unerwünschten chemischen Reaktionen kommen, die nicht nur optisch auffällig sind, sondern:
- die Wirksamkeit beider Antiseptika abschwächen (was zu einer verzögerten Heilung führen kann)
- hautreizende Nebenprodukte entstehen lassen (was zu lokalen Entzündungsreaktionen führen kann)
- die Stabilität der Wundumgebung beeinträchtigen (was zur Ausbreitung von Keimen führen kann)
Aus pflegerischer Sicht ist es daher zwingend notwendig, zwischen der Anwendung von Jod und Octenidin entweder ausreichend zeitlichen Abstand einzuhalten oder die Haut zwischendurch gründlich zu reinigen, um Rückstände zu entfernen.
In der professionellen Pflege bedeutet das: Wer beide Wirkstoffe ohne geeignete Trennung einsetzt, verstößt gegen fachliche Sorgfaltspflichten. Das kann – je nach Fall – als Pflegefehler oder Verstoß gegen Hygienestandards bewertet werden, mit haftungs- oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen.
Jod: Das Geheimnis der Algen
Jod (altgriech. „ioeides“ – „veilchenfarbig, violett“) ist ein chemisches Element und gehört zur Gruppe der Halogene. Es handelt sich dabei um violett-schwarze, glänzende Kristalle, die leicht sublimieren, also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen.

Jod ist aber nicht nur ein Element mit violettem Glanz, sondern auch ein jahrtausendealtes Heilmittel. Besonders reich an natürlichem Jod sind Algen wie Kombu, Nori oder Wakame. Sie gehören zu den wichtigsten natürlichen Jodquellen weltweit. In diesen Algen erfüllt das Jod eine Schutzfunktion: Es dient als Antioxidans und schützt die Pflanzenzellen vor oxidativem Stress durch UV-Strahlung oder Ozon. Außerdem setzen Algen Jodverbindungen frei, um sich gegen Mikroorganismen zu verteidigen.
Der molekulare Reparaturcode: Für Zellreparatur, Proteinaufbau und Durchblutung
In der Ernährung ist Jod vor allem für die Produktion der Schilddrüsenhormone zuständig. Diese Hormone beeinflussen, wie schnell Zellen Energie umsetzen – und haben damit auch einen direkten Einfluss auf die Wundheilung: Sie fördern die Zellteilung, den Eiweißaufbau und die Durchblutung.
Natürliches Jod, das wir über die Nahrung aufnehmen, ist jedoch nicht dasselbe wie das Jod, das in der Wunddesinfektion verwendet wird. Medizinisches Jod kommt in deutlich höheren Konzentrationen vor und wird äußerlich angewendet. Zum Vergleich: In medizinischen Antiseptika wie Betaisodona ist der Gehalt an Jod bis zu 1000-mal konzentrierter als die Jodmenge, die in einer Portion Algen enthalten ist.
Algen für purpurne Kleidung und gegen Kropf
Bereits in der Antike fanden sich Hinweise auf Heilmittel aus jodhaltigen Meeresorganismen. So empfahl etwa der chinesische Alchemist Ko-Hung um 340 n. Chr. einen alkoholischen Extrakt aus Braunalgen gegen Kropf. Noch wesentlich früher (ab etwa 1600 v. Chr.) setzten chinesische Ärzte „verkohlten Schwamm“ und Seealgen zur Behandlung von Schilddrüsenvergrößerungen ein. Auch in Griechenland und Rom waren Meeresalgen und Schwämme bekannt: Plinius d. Ä. schlug im 1. Jh. v. Chr. verbrannte Algen gegen Kropf vor, eine Praxis, die später von Galen aufgegriffen wurde. Im mittelalterlichen Europa vermittelten die Gelehrten von Salerno ähnliche Behandlungen. Die Wirkung von Algen war also in der Volksmedizin durchaus schon bekannt, aber ohne dass der Wirkstoff Jod erkannt wurde. Volksmedizin galt in dieser Zeit jedoch als heidnische und ketzerische Praxis. Es dauerte daher eine Weile, bis die Wissenschaft den Wirkstoff nicht mehr der Volksmedizin, sondern der Medizin zuschrieb.
Auch in der Färberei spielte Jod schon sehr früh eine Rolle. Spätantike Alchemie-Rezepte belegen, dass man Seetang mit Kalk oder Essig behandelte und das Konzentrat dann so lange kochen ließ, bis daraus schließlich „ein schönes Purpur“ entstand. Ähnlich führt das Leyden/Stockholm-Papyrus (ca. 3./4. Jh. n. Chr.) in einem Purpur-Rezept „Seetang, das sie Falsche Muschel nennen“ als Zutat an. Auch der berühmte Purpurfarbstoff der antiken Murex-Schnecken enthält ein Naturstoffgemisch, das wie Jod zur Gruppe der Halogene gehört. Murex-Schnecken wurden schon im antiken Griechenland genutzt, um das Tyrianische Purpur (Königspurpur) zu gewinnen.
Octenidin: Das moderne Antiseptikum zur Langzeitanwendung
Neben Jod wird auch Octenidindihydrochlorid (Octenidin) als Antiseptikum eingesetzt. Anders als Jod handelt es sich bei diesem Stoff jedoch nicht um ein chemisches Element, sondern um einen chemischen Wirkstoff. Octenidin wurde Mitte der 1980er Jahre von der deutschen Firma Schülke & Mayr entwickelt. Auf der Suche nach einem neuen, gut verträglichen Antiseptikum für die Anwendung auf Schleimhäuten synthetisierten ForscherInnen erstmals diesen Wirkstoff aus der Gruppe der Bispyridine.
Bakterienzellwände sind negativ geladen – Octenidin positiv. Negative und positive Ladungen ziehen sich an – wie Magnete. Deshalb kann sich der Wirkstoff Octenidin an die Hülle von Bakterien anheften. Dort dringt er in die Zellhülle der Bakterien und Pilze ein und zerstört sie.
Jod: Ein „Antivirus“ aus der Natur
Octenidin hat eine effektive Wirkung gegen Bakterien und Pilze, ist jedoch nicht so stark gegen Viren und wirkt nicht gegen Sporen. Zudem reduziert es Gerüche bei infizierten Wunden.
Jod hingegen wird aufgrund seines breiten antimikrobiellen Spektrums und seiner schnellen Wirkung immer dann bevorzugt, wenn auch eine umfassende und rasche Bekämpfung von Viren und Sporen erforderlich ist. Besonders bei stark verschmutzten oder tiefen Wunden sowie akuten Infektionen (eitrige Wunden oder chirurgische Infektionen) ist Jod vorteilhaft, da es tiefer in das Gewebe eindringt. Aufgrund seiner starken viruziden Wirkung (sogar HIV und Hepatitis-Viren), wird es auch in Situationen mit hohem viralem Infektionsrisiko eingesetzt. Auch für die einmalige, schnelle Desinfektionen in der Notfallmedizin ist Jod die bevorzugte Wahl.
Das Mischen oder direkte Hintereinanderanwenden von Jod und Octenidin auf derselben Haut- oder Wundfläche widerspricht den anerkannten pflegewissenschaftlichen Standards und Richtlinien zur Antiseptik. Beide Wirkstoffe können sich gegenseitig inaktivieren und im schlimmsten Fall Hautreizungen oder unerwünschte chemische Reaktionen verursachen. Das kann zu einer Verzögerung der Wundheilung, zu Schädigungen des Gewebes oder sogar zur Beeinträchtigung der Patientensicherheit führen.
Beitragsbild: KI
Bild 1: by Matias Molnar – Laboratorio Quimica Inorganica II – UBA, Argentina, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1936001