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Clavicula, Os sacrum und mehr: Anatomie und Kirchengeschichte

Kommentarliteratur zum Thema des Fachs „Anatomie“

09.11.2024


Die Medizin und Pflege im Mittelalter wurden maßgeblich von den Lehren römischer und griechischer Gelehrter beeinflusst. Ihre Theorien wurden zumeist mündlich vom Lehrer an den Schüler weitergegeben und legten den Grundstein für das heutige medizinische und pflegerische Wissen. Dies wird deutlich, wenn man sich einige anatomische Begriffe genauer ansieht. Sie beschreiben oft nicht nur einen Knochen oder ein Organ, sondern haben auch eine spirituelle Bedeutung.

Clavicula: „Der Schlüssel zur Stärke“

Galenus von Pergamon (ca. 129–216) war ein bedeutender griechischer Arzt und Anatom der Antike. In seinen Schriften verwendete er sowohl Latein als auch Griechisch und legte damit den Grundstein für viele der heutigen medizinischen Begriffe. Seine Werke wurden von Gelehrten des Mittelalters und an den frühen europäischen Universitäten intensiv studiert und hatten einen prägenden Einfluss auf die medizinische Ausbildung. Auch der Begriff „Clavicula“ wurde von ihm geprägt.

Der Begriff „Clavicula“ bedeutet wörtlich „kleiner Schlüssel“ und leitet sich von „clavis“ (Schlüssel) sowie der Verkleinerungsform „-cula“ ab. Er findet sich nicht nur in den anatomisch-medizinischen Texten der Antike, sondern auch in zahlreichen alten spirituellen und okkulten Schriften aus dem Mittelalter und der Renaissance. Ein bekanntes Beispiel ist das Buch „Clavicula Salomonis“ („Der kleine Schlüssel Salomons“, ca. 14.-15. JH), ein okkultes Werk, dessen Ursprünge bis ins Mittelalter zurückreichen und das sich mit der Beschwörung von Geistern und der Kontrolle dämonischer Mächte beschäftigt. Weitere Werke sind zum Beispiel das Buch „Clavicula indulgentialis et absolutionis sacerdotalis“ („Kleiner Schlüssel der priesterlichen Nachsicht und Absolution“, Nicolaus Weigel, 1480) oder das „Clavis Prophetica Nova Apocalypseōs Ioannis Apostoli et Evangeliographi“ („Neuer prophetischer Schlüssel zur Offenbarung des Apostels und Evangelisten Johannes, Carolus Gallus,1592).

Speziell im europäischen Spätmittelalter, im Zeitraum vom 14. bis zum 15. Jahrhundert, erfreuten sich die Begriffe Clavicula und Clavis in der spirituellen Literatur großer Beliebtheit. Die Begriffe wurden oft dafür verwendet, um Werke zu betiteln, die sich mit geheimem oder verschlüsseltem Wissen befassten. Sie symbolisierten den Zugang zu verborgenen Weisheiten und standen für den Versuch, die Mysterien der Welt zu ergründen.

„In einigen Texten wird das Schlüsselbein auch symbolisch als eine Verbindung zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit beschrieben.“
Avicenna, „Avicennae Arabum medicorum principis“

Das Schlüsselbein galt in gewisser Weise als „Schlüssel“, der die Beweglichkeit des Arms, und damit die Stärke des Menschen, ermöglicht. Symbolisch stand die Clavicula also als jener Schlüssel, der „die Tür von Zerbrechlichkeit zu Stärke aufschließt“. In medizinischen Werken der Antike wird deutlich, wie das Zusammenspiel von Anatomie und Philosophie zu einem tieferen Verständnis des Körpers führte. Der persische Gelehrte Avicenna etwa erkannte diese Dualität des menschlichen Körpers. Für ihn verkörperte das Schlüsselbein Robustheit und Stabilität, zwei wesentliche Eigenschaften, die erforderlich sind, um den Menschen „stark zu machen“. Viele Nonnen und Mönche im Mittelalter arbeiteten nach seinen Schriften.

Os Sacrum: Der „heilige Knochen“

Während die Clavicula als „Schlüssel zur Stärke“ angesehen wurde, hatte das Os Sacrum, der „heilige Knochen“, eine ganz andere, aber ebenso faszinierende Bedeutung. Historisch gibt es mehrere Theorien dazu. Eine häufige Erklärung besagt, dass das Kreuzbein als heilig betrachtet wurde, weil es an die Form eines Kreuzes erinnert. Das Kreuzbein liegt zudem in der Nähe der Beckenregion, dem Sitz des Lebens und der Fortpflanzung.

Im antiken Ägypten und Griechenland glaubte man, dass das Kreuzbein nach dem Tod als letzter unversehrter Teil des Körpers bestehen bleibt. Es wurde als eine Art spirituelles Fundament dargestellt, aus dem neues Leben entspringen konnte. Auch im Judentum und Christentum gibt es Hinweise darauf, dass das Kreuzbein als „Keim des Lebens“ betrachtet wurde.

In einigen religiösen Texten und Überlieferungen wurde es als jener Teil des menschlichen Körpers beschrieben, der die Auferstehung ermöglicht. Diese Vorstellung ist eng mit der Idee verbunden, dass der Mensch durch einen heiligen Impuls oder eine göttliche Intervention wieder zum Leben erweckt werden kann, wobei das Kreuzbein als mystischer Ursprung dieses Prozesses dient.

Viele der Begriffe unserer Organe und Knochen stammen aus antiken und mittelalterlichen spirituellen Vorstellungen über den menschlichen Körper. Es kann faszinierend sein, diese Ursprünge zu erforschen und sich beim Lernen intensiver mit den einzelnen Knochen auseinanderzusetzen.

Bild: KI