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Die Geschichte der Pflege: Mittelalter

Kommentarliteratur zum Thema „Geschichte der Pflege“ des Fachs „Sozialbetreuung als Beruf“

13.04.2025

Die Pflege im Mittelalter war eng mit Religion verknüpft. Eine Trennung zwischen ärztlicher und pflegerischer Versorgung gab es noch nicht. Die Betreuung Kranker wurde von Klöstern, geistlichen Orden und heilkundigen Laien erbracht.

Die Kirche nahm von den Heiden und machte es sich zu eigen

Obwohl der Glaube der Antike im Mittelalter von der christlichen Kirche als Heidentum (lat. paganismus) gekennzeichnet und weitgehend abgelehnt wurde, bildeten die Lehren der Antike die Grundlage für das medizinische und pflegerische Verständnis des Mittelalters. Das medizinische und pflegerische Verständnis vom 5. bis zum 15. Jahrhundert war von der Vier-Säfte-Lehre (Hippokrates)1) und der Elementelehre2) geprägt. Auch Praktiken aus der Volksmedizin fanden Eingang in die Medizin und Pflege der damaligen Zeit. So wurde etwa die Signaturenlehre3) übernommen, die davon ausging, dass Aussehen, Farbe oder Form von Pflanzen Hinweise auf ihre heilende Wirkung geben. Die für die Kirche heidnischen Lehrer Hippokrates, Galen und Rhazes prägten mit ihren Schriften das Wissen über Gesundheit und Krankheit über viele Jahrhunderte hinweg. Noch im Hochmittelalter wurden ihre Konzepte an Universitäten gelehrt.

Vorwiegend ging es in der religiös geprägten Medizin des Mittelalters darum, die Krankheit aus dem Körper auszuleiten. Um dies zu erreichen, wurde geschröpft, zur Ader gelassen, pflanzliche Laxantien zur Förderung der Darmentleerung eingesetzt (z. B. Rhabarberwurzel oder Sennesblätter), Diuretika zur Steigerung der Harnausscheidung verabreicht (z. B. Bärentraube oder Brennnessel) und Emetika zur Auslösung von Erbrechen verwendet (z. B. Brechwurzel). Auch Einläufe gehörten zu den gängigen Reinigungsverfahren. Es handelte sich dabei um Therapien, die – in modernisierter und wissenschaftlich fundierter Form – bis heute zum pflegerischen Repertoire gehören.

Gesundheit durch seelische Reinigung

Im Mittelalter war das Menschenbild ausnahmslos holistisch geprägt, wobei der Spiritualität und der Seele die höchste Bedeutung zugemessen wurde. Krankheit war weniger eine körperliche Störung als eine Verunreinigung der Seele. In einem kranken Menschen verbarg sich etwas, das sein seelisches Gleichgewicht aus der Balance brachte. Pflegerische und medizinische Maßnahmen zielten daher in erster Linie auf seelische Reinigung und spirituelle Läuterung ab. Es wurde gebetet und Buße getan, Reliquien verehrt, heilige Orte aufgesucht und Heilung durch göttliches Eingreifen erhofft. Hinzu kamen Methoden, die auf die Lehrer der Antike zurückgingen und im Laufe der Zeit weiterentwickelt wurden.

Hygiene, wie es sie in Ansätzen in der Antike gegeben hatte, spielte im Mittelalter hingegen keine Rolle. Die Kirche hielt nichts von regelmäßiger Körperpflege nach festen Ritualen, wie sie im römischen Alltag selbstverständlich gewesen waren. Vielmehr wurden solche Reinigungsrituale als heidnisch abgetan und abgewertet. Die Bedeutung von Sauberkeit für die Gesundheit wurde übersehen. Ein wesentlicher Grund dafür, dass die Hygienestandards der Antike nicht übernommen wurden, lag im Bestreben, sich von den heidnischen Praktiken der Vergangenheit abzugrenzen und die eigene Religion als überlegen darzustellen. Dies führte zu einer völlig veränderten Weltanschauung: Während im antiken Rom körperliche Reinheit eng mit öffentlichem Leben, Wohlstand und Gesundheit verbunden war, rückte im Mittelalter die geistige und moralische Reinheit in den Vordergrund. Körperpflege galt als eitel und sündhaft, und Krankheit nicht als Folge mangelnder Hygiene, sondern als Strafe Gottes.​ Hinzu kam der Zerfall urbaner Infrastrukturen nach dem Untergang des Römischen Reiches – Kanalsysteme, Badehäuser und Wasserleitungen verfielen oder wurden bewusst aufgegeben.

Die medizinische und pflegerische Praxis basierte nicht auf Evidenz sondern auf überlieferten Theorien und magischem Denken – letzteres muss jedoch nicht zwangsläufig negativ bewertet werden. Auch in der heutigen Zeit ist das holistische Menschenbild, das Körper, Geist und Seele als Einheit versteht, wieder fest in modernen Pflegemodellen verankert. Nur hat das heute weniger mit magischem Denken zu tun, sondern mit dem Bewusstsein, dass Heilung und Wohlbefinden weit über die rein körperliche Ebene hinausgehen. Moderne Pflegemodelle berücksichtigen psychosoziale, emotionale und spirituelle Dimensionen des Menschseins und erkennen an, dass diese einen entscheidenden Einfluss auf Gesundheit und Lebensqualität haben können. Der Unterschied zum Menschenbild des Mittelalters ist, dass der heutige ganzheitliche Ansatz auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und nicht auf religiösen Dogmen oder magischem Denken. Die Wissenschaft, und nicht die Religion, steht im Mittelpunkt. Während das spirituelle Wohlbefinden im Mittelalter eng mit kirchlichen Vorstellungen von Sünde, Buße und göttlicher Strafe verknüpft war, berücksichtigt die moderne Pflegepraxis spirituelle Bedürfnisse als Teil individueller Lebensrealitäten und kultureller Vielfalt. Spiritualität wird heute nicht mehr als Mittel zur Erlangung göttlicher Gnade verstanden, sondern als Ressource.

Das Kloster als Hospital

Die Pflege im Mittelalter war eng mit dem klösterlichen Leben verbunden. Gegen Ende des Frühmittelalters wurden kirchlich-juristische Regelungen geschaffen, die die Krankenfürsorge institutionalisierten. Die „Regula Benedicti“, die Mönchsregel des Benedikt von Nursia4), forderte von Ordensangehörigen Barmherzigkeit gegenüber Kranken und verpflichtete jedes Kloster zur Einrichtung eines eigenen Krankentrakts, der sogenannten Infirmarie. Diese Regelung wurde durch das Konzil von Aachen5) im Jahr 809 bestätigt, das festlegte, dass jedes Kloster und jedes Stift über ein Spital verfügen sollte. ​

Es entstanden Infirmarien, Siechenhäuser und Xenodochien. Infirmarien waren klösterliche Krankenstationen, in denen Mönche und Nonnen erkrankte Mitglieder ihrer Gemeinschaft pflegten. Siechenhäuser dienten der Isolierung und Versorgung von Menschen mit ansteckenden Krankheiten wie Lepra. Xenodochien waren Herbergen, die neben der Aufnahme von Pilgern und Bedürftigen auch medizinische Betreuung anboten. Diese Einrichtungen wurden häufig entlang von Pilgerwegen errichtet und boten Reisenden Schutz und Pflege. Neben den Klöstern engagierten sich auch geistliche Ritterorden wie die Johanniter, der Deutsche Orden oder die Templer in der Krankenversorgung. Sie gründeten Spitäler in Europa und im Heiligen Land, in denen nicht nur verwundete Ritter, sondern auch Kranke, Arme und Pilger gepflegt wurden.

Hebammen und Bader – verachtet, verdächtigt, verbrannt

Was die Kirche jedoch nicht übernahm, waren blutige Behandlungen. Das Konzil von Tours im Jahr 1163 untersagte Klerikern ausdrücklich chirurgische Operationen, da das Verursachen von Blutungen als unvereinbar mit dem geistlichen Amt angesehen wurde. Infolgedessen entstand der Beruf des Baders, der außerhalb der kirchlichen Strukturen operierte. Der Bader arbeitete in Badehäusern, vergleichbar mit den Thermen der Antike, und führte dort verschiedene medizinische Praktiken wie Aderlässe, Schröpfen, das Ziehen von Zähnen und die Behandlung von Wunden aus. Menschen besuchten das Badehaus, um sich der Körperpflege und der Kosmetik zu widmen, sich zu erfrischen und in einem geselligen Umfeld Kontakte zu knüpfen. Die Badehäuser entwickelten sich zu sozialen Treffpunkten, an denen gegessen, getrunken und Gespräche geführt wurden.​

Der Kirche waren Badehäuser jedoch ein Dorn im Auge. Obwohl sie deren Existenz duldeten, ließen kirchliche Autoritäten keine Gelegenheit aus, um gegen sie zu predigen. Die Bäder galten als Orte der Unsittlichkeit, da es dort keine Geschlechtertrennung gab und oft nackt gebadet wurde. Priestern wurde es grundsätzlich verboten, eine öffentliche Badestube aufzusuchen. Diese Haltung führte dazu, dass das Baden in der christlichen Lehre zunehmend als sündhaft betrachtet wurde. Einflussreiche Kirchenväter wie Augustinus erklärten, ein Bad pro Monat sei gerade noch mit dem christlichen Glauben zu vereinbaren. Trotz dieser Kritik blieb das gemeinschaftliche Baden bis in die frühe Neuzeit hinein beliebt.

Bader genossen zwar nicht das Ansehen eines Arztes – im Gegenteil, sie wurden häufig als Angehörige eines „unehrlichen“ Berufsstandes betrachtet – dennoch waren sie für die ärmere Bevölkerung oft die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Beschwerden. Der Bader hatte den sozialen Stand eines Handwerkers. Später entwickelte sich daraus der Wundarzt, aus welchem sich wiederum der Beruf des Chirurgs entwickelte.

Neben den Badern übernahmen auch die Hebammen wichtige Aufgaben in der Bevölkerung. Frauen, die über pflanzenkundliches oder medizinisches Wissen verfügten, gerieten jedoch zunehmend in den Verdacht der Hexerei. Die Angst vor weiblichem Wissen und der Wunsch, dieses Wissen für sich nutzbar zu machen führte ab dem Hochmittelalter zu wachsender Verfolgung und Diskriminierung. Diese Entwicklung kulminierte in der Frühen Neuzeit ab der Renaissance zu einem wahren Schlachtfest, bei dem Frauen als Hexen diffamiert und einer wahnhaften, kirchlich geprägten Justiz ausgeliefert wurden, welche sie folterte, vergewaltigte und bei lebendigem Leibe verbrannte.

Die wahre kulturelle Aneignung – Wie weibliches Wissen unsichtbar gemacht und als männliches Eigentum vereinnahmt wurde

„Wenn eine Frau alleine denkt, so denkt sie Böses.“
Malleus Maleficarum, 1487, Heinrich Kramer

Dem voraus ging der „Hexenhammer“, ein kirchlich-juristisches Werk, das im Jahr 1487, also gegen Ende des Mittelalters, vom Prediger Heinrich Kramer verfasst wurde und maßgeblich zur Legitimation der Hexenverfolgung beitrug. Kramer stellte Frauen als dumm, promiskuitiv, betrügerisch, eifersüchtig und besonders anfällig für Zauberei dar und lieferte in seinem Pamphlet detaillierte Anleitungen für deren Verfolgung. In der Folge wurden, konservativ geschätzt, 60.000 Frauen Opfer einer Justiz, die sie unter Folter zu falschen und dazu auch noch lächerlichen Geständnissen zwang und auf dem Scheiterhaufen hinrichtete. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher sein und bei über 100.000 liegen. Diese systematische Vernichtung weiblichen Wissens und die damit einhergehende Gewalt gegen Frauen hinterließen tiefe Spuren in der europäischen Geschichte. Zwar wurden auch Männer als Hexer und Zauberer verurteilt, doch waren diese im Vergleich zu den Frauen weit in der Unterzahl.

Mit der Gründung erster Universitäten im Hochmittelalter (12. Jahrhundert) wurde die Medizin zunehmend akademisiert – und Frauen ausgeschlossen. Eine Gesellschaft, die seit nunmehr 1500 Jahren einer Religion angehörte, die Frauen systematisch unterdrückte und nicht davor zurückschreckte, sie zuerst als Märchenfiguren zu diffamieren, um sie im nächsten Schritt dafür bei lebendigem Leib zu verbrennen, hat natürlich kein Interesse daran, dass eine Frau womöglich das gleiche Ansehen genießen könnte wie ein Mann.

Obwohl Frauen in bestimmten Regionen und zu bestimmten Zeiten (etwa an der Schule von Salerno) Zugang zu medizinischer Bildung hatten, blieb ihnen in vielen Teilen Europas der Weg zur ärztlichen Profession verwehrt. Selbst wenn sie an Vorlesungen teilnehmen durften, war ihnen der Abschluss als Medizinerin nicht möglich. Stattdessen wurden sie auf pflegerische Tätigkeiten beschränkt. Diese strukturelle Benachteiligung führte dazu, dass das uralte medizinische Wissen von Frauen, das seit der Antike und über tausende von Jahren gewachsen war, zwar häufig übernommen, aber offiziell nicht als ihr Wissen anerkannt wurde. Ihre Beiträge zur Heilkunde wurden systematisch marginalisiert, ihre Expertise floss ohne entsprechende Würdigung in die männlich dominierte Medizin ein. 

Die erste Emanzipationsbewegung ging von „Pflegerinnen“ aus

Infolge dieser Entwicklungen beschlossen einige Frauen ab dem 12. Jahrhundert, sich in Beginengemeinschaften zu organisieren. Diese Gemeinschaften übernahmen seelsorgerische und krankenpflegerische Tätigkeiten. Anders als in anderen Ordensgemeinschaften genossen die Frauen viele Freiheiten, weshalb einige Historiker das Beginentum als die erste Emanzipationsbestrebung der Geschichte betrachten. Die Beginen widersetzten sich der Frauenfeindlichkeit vieler Kirchenväter des Mittelalters. Vermutlich genau aus diesem Grund wurden sie mit dem Konzil von Vienne 1311 verboten. Sie wurden einfach der Ketzerei bezichtigt und verurteilt.

Pflege als eigenständige wissenschaftliche Disziplin

Mit dem Aufkommen städtischer Hospitäler im Spätmittelalter und der zunehmenden Verweltlichung der Gesundheitsversorgung begann sich die Pflege langsam aus dem rein klösterlichen Kontext zu lösen. Doch auch in den neu entstehenden Spitälern blieben Frauen häufig auf niedere, nicht-akademische Tätigkeiten beschränkt.

Erst mit der Aufklärung und dem Wandel in den medizinischen Wissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert rückte die Notwendigkeit einer professionellen Pflege erneut ins Bewusstsein. Ein Wendepunkt war das Wirken von Florence Nightingale im 19. Jahrhundert, die durch ihre Arbeit im Krimkrieg und ihre Reformen in der Pflegeausbildung den Grundstein für den modernen Pflegeberuf legte. Sie betonte erstmals die Bedeutung von Hygiene und maß der sorgfältigen Beobachtung sowie der systematischen Dokumentation in der Pflegepraxis große Bedeutung bei – Elemente, die heute als selbstverständlicher Bestandteil professioneller Pflege angesehen werden.

Im 20. Jahrhundert erlebte die Pflege schließlich eine Phase der Institutionalisierung und Akademisierung. Pflegeberufe wurden zunehmend formalisiert, Ausbildungsstandards festgelegt und eigene Fachrichtungen innerhalb der Pflege etabliert. In vielen Ländern wurde die Pflegeausbildung auf ein hochschulisches Niveau gehoben – auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz entstanden pflegewissenschaftliche Studiengänge.

  1. Vier-Säfte-Lehre, planet-wissen.de
  2. Elementelehre, fuernitz-apotheke.at
  3. Signaturenlehre, wikipedia
  4. Benedikt von Nursia, wikipedia
  5. Konzil von Aachen, wikipedia

Beitragsbild: ©pixabay.com, @dimitrisvetsikas1969