Die Pathologisierung von Kriminalität am Beispiel der Antisozialen Persönlichkeitsstörung – und warum Etiketten keine Erklärungen sind
29.11.2025
Dieser Text stammt von Nicolas Badre, einem forensischen und klinischen Psychiater sowie Psychotherapeuten aus San Diego. Nicolas Badre ist Mitautor des Werkes Essential Psychopathology & Its Treatment, 5th Edition. Er lehrt Psychiatrie im Rahmen einer Masterausbildung zur Paar- und Familientherapie sowie an einer juristischen Fakultät.
Die Antisoziale Persönlichkeitsstörung: Ist sie real?
Die meisten psychiatrischen Diagnosen leiden unter erheblichen Validitätsproblemen. APS ist davon nicht ausgenommen; tatsächlich gehört sie oft zu den schlimmsten Fällen. Angesichts der finanziellen Interessen und der Konsequenzen gerichtlicher Verfahren sind Fachleute oft geneigt, dieses Etikett in geradezu absurden Weisen zu vergeben, die einer genaueren Prüfung häufig nicht standhalten.
Andererseits
Man kann argumentieren, dass APS konzipiert wurde, um Personen zu kategorisieren, die nicht in die Gesellschaft passen. In diesem Sinne ist APS quantifizierbar und vielleicht „realer“ als andere Diagnosen. Symptome wie eine kriminelle Vorgeschichte oder das Nichterfüllen finanzieller Verpflichtungen lassen sich leichter messen. Allerdings bleibt trotz der Möglichkeit, diese Personen erfolgreich zu gruppieren, die klinische Relevanz dieses Vorgehens unklar.
Handelt es sich um eine Störung?
Sie ist im DSM als Störung aufgeführt, aber bildet sie tatsächlich eine echte Pathologie ab? Darüber wird gestritten. APS sagt zukünftige Kriminalität voraus, was die Klassifikation rechtfertigen könnte; dennoch ist frühere Kriminalität in der Regel der stärkste Prädiktor. Wir bezeichnen Verhalten häufig als pathologisch, einfach weil es unerklärlich ist; wir erleben Kriminalität als unbegreiflich und gehen daher davon aus, dass sie eine Krankheit sein müsse. Während einige Forschende behaupten, APS stelle ein Defizit an Empathie dar, sind die Daten dazu nicht schlüssig. Letztlich betrachten die meisten Gerichte sie nicht als Krankheit, die kriminelles Verhalten entschuldigt, und ich denke, die Gerichte liegen damit richtig.
Ist sie behandelbar?
Es hat viele gescheiterte Versuche gegeben, APS zu behandeln. Leider gehen viele Fachkräfte der psychischen Gesundheitsversorgung mit der irrigen Vorstellung in diesen Bereich, dass es so etwas wie „Bösartigkeit“ nicht gebe, was zu simplifizierenden Paradigmen führt, die die Ergebnisse nicht verbessern. Gleichwohl helfen klare Grenzen ganz sicher. Einschließung als Reaktion auf Gewalt reduziert Gewalt; wenn man das als Behandlung betrachtet, dann funktioniert sie. Wenn sich Behandlung streng auf Medikamente und Therapie bezieht, ist die Antwort weniger eindeutig.
Fazit
Psychiatrie ist komplex. Wir müssen ehrlich mit unseren Grenzen umgehen, ohne den gesunden Menschenverstand zu verlieren. Wir verfügen über rudimentäre Daten (frühere Straftaten), um zukünftige Kriminalität vorherzusagen, und über grobe Instrumente (Strafverfolgung), um ihr zu begegnen. APS ist faszinierend, weil Kriminalität zugleich tragisch und faszinierend ist. Manche versuchen, Kriminalität zu pathologisieren, um sie zu verstehen, doch Etiketten sind keine Erklärungen. Wir müssen anerkennen, dass viele dieser Konzepte subjektive, vom Menschen gemachte Festlegungen sind.
Besuchen Sie die Website von Nicolas Badre:
https://www.badremd.com
Eine umfassende Überarbeitung des Lehrbuchs zur modernen psychiatrischen Diagnostik und Behandlung, abgestimmt auf den DSM-5-TR und die ICD-11. (Anm.: in englischer Sprache)
Die Psychiatrie steht an einem Wendepunkt: Sie muss steigenden gesellschaftlichen Erwartungen ebenso gerecht werden wie scharfer Kritik. Diese Herausforderungen lassen sich nicht allein mit Diagnosen bewältigen – sie erfordern einen erweiterten Ansatz. Jede klinische Fachperson, die einen Patienten ausschließlich anhand von DSM- oder ICD-Kriterien beurteilt, missversteht den Prozess. Gute Versorgung beginnt mit einer korrekten Diagnose, reicht jedoch weit darüber hinaus und bezieht den Kontext des Patienten ein: Familie, Erziehung, Genetik, körperliche Gesundheit, Belastungsfaktoren und Psychodynamik. Seit Langem als eines der führenden Werke zur Beurteilung, Diagnose und Behandlung psychiatrischer Störungen anerkannt, weist dieses Buch die Karikatur der modernen Psychiatrie zurück und bietet stattdessen einen engagierten, humanistischen und von gesundem Menschenverstand geprägten Ansatz.
Diese neueste Revision enthält aktuelle Neuerungen in der Psychopharmakologie, der computerbasierten Neurowissenschaft sowie der funktionellen Neurobildgebung. Ausgerichtet auf Studierende im Master- und Promotionsbereich in Psychiatrie, Psychologie, Beratung und verwandten Disziplinen vermittelt es eine praxisnahe und gut verständliche Darstellung der Psychopathologie.
46 Abbildungen in Schwarz-Weiß; 4-seitiger Farbteil; 176 Tabellen in Schwarz-Weiß.
Quellen:
https://x.com/BadreNicolas
Bild: pixabay.com