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Kompetenz der Sozialbetreuung: Die systemische Denkweise

Unterrichtsfach: Behindertenarbeit


22.10.2025

Die Systemtheorie / Das Systemische Modell

Systemtheorie und systemisches Modell sind nicht dasselbe, aber sie hĂ€ngen eng zusammen.
‱ Die Systemtheorie ist die theoretische Grundlage,
‱ das systemische Modell (oder der systemische Ansatz) ist die praxisorientierte Anwendung dieser Theorie.

Die Systemtheorie

Die Wurzeln der Systemtheorie liegen bei dem österreichischen Biologen Ludwig von Bertalanffy, der in den 1940er-Jahren die Allgemeine Systemtheorie entwickelte. Er wollte erklĂ€ren, wie komplexe Systeme funktionieren â€“ also Organismen, Familien, Organisationen oder Gesellschaften.

Zentrale Annahmen sind:
‱ Alles ist verbunden â€“ VerĂ€nderungen an einer Stelle wirken sich auf das Ganze aus
‱ Ein System reguliert sich selbst (RĂŒckkopplung, Gleichgewicht)
‱ Verhalten kann nicht isoliert verstanden werden, sondern nur im Kontext des Systems

SpĂ€ter wurde die Theorie in die Soziologie, Psychologie und PĂ€dagogik ĂŒbernommen und dort weiterentwickelt – unter anderem auch fĂŒr entwicklungspsychologische und sozialarbeiterische Fragestellungen. Sie vertraten die Annahme, dass soziale und psychische Prozesse mit der systemischen Sichtweise besser zu verstehen seien.

Bezug zur Entwicklungspsychologie

Die Systemtheorie beschreibt die menschliche Entwicklung als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt. Das heißt: Entwicklung hĂ€ngt nicht nur von inneren Faktoren (wie Reife oder Lernen) ab, sondern auch vom familiĂ€ren, schulischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld.

Hier verbindet sich Systemtheorie mit Entwicklungspsychologie. In der Entwicklungspsychologie wird die Systemtheorie vor allem im ökologischen Ansatz angewendet. „Ökologie“ bedeutet hier nicht „Umwelt“ im Sinn von „Natur“, sondern bezieht sich auf das Zusammenspiel zwischen einem Individuum und allen seinen Lebensumwelten, die auch Menschen, StĂ€dte, Arbeit, etc. mitdenkt.

Das Systemische Modell / Der Systemische Ansatz

Das systemische Modell ĂŒbertrĂ€gt die theoretischen Überlegungen der Systemtheorie auf die Praxis der Sozialarbeit, Sozialbetreuung oder Therapie. Hier geht es darum, Menschen in ihrem sozialen Umfeld zu verstehen â€“ z. B. in ihrer Familie, in der Arbeit, in Beziehungen oder Institutionen.

In der Sozialbetreuung bedeutet das: Nicht die einzelne Person, sondern das ganze BeziehungsgefĂŒge wird mitgedacht.

Man fragt:
„Wie wirken Umfeld, Kommunikation und Beziehungen auf das Verhalten?“
„Welche Ressourcen gibt es im System, um VerĂ€nderungen zu ermöglichen?“

Die systemische Denkweise

Die systemische Denkweise beruht auf der Annahme, dass alles und jeder miteinander verbunden und voneinander abhÀngig ist. Das Individuum wird in seinem Umfeld von anderen Individuen (und Dingen) beeinflusst; es lebt somit in einem Spannungsfeld zwischen Autonomie und Interdependenz.

Systemikerinnen, wie es Sozialbetreuerinnen sind, betrachten das Individuum und erkennen es als autonom an. Sie sehen aber auch deren Beziehungen und die Wechselwirkungen innerhalb ihres Beziehungssystems. Mit diesem Blick auf das Gesamtsystem wird es möglich, die KomplexitÀt und die Dynamik eines Individuums zu verstehen und Lösungen zu finden.

Aus der Sicht des „lebenden Systems“ ist jede Handlung prinzipiell gut und richtig, sofern sie der Selbsterhaltung des Systems dient. Wird problematisches Verhalten auf diese Weise betrachtet, wird es zum Problemlösungsversuch.

Die systemische Denkweise steckt auch im humanistischen Menschenbild

Schon in den fĂŒnf Grundannahmen des humanistischen Menschenbildes ist der Grundgedanke der Systemtheorie verankert: Der Mensch steht im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Interdependenz – also zwischen dem Streben nach Selbstbestimmung und der gleichzeitigen Einbindung in soziale Beziehungen, etwa in Familie, Partnerschaft und Gemeinschaft.

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Systemikerinnen wenden diese Denkweise IMMER an

Sozialbetreuerinnen wenden die systemische Denkweise nicht nur auf ihre Klientinnen an, sondern auf alle anderen auch (Kolleginnen, Freundinnen, auf uns selbst,…). Die Bewertungskriterien haben Einfluss auf das gesamte Umfeld.

Das heißt, die Sozialbetreuung stellt sich keine linearen Ursache-Wirkungs-Fragen („Warum ist Herr M. so aggressiv? Liegt das an seiner Behinderung?“), sondern betrachten Situationen, Probleme und Beziehungen im Kontext eines ganzen Systems – also im Zusammenspiel von Individuen, Beziehungen, Strukturen und Bedeutungen. Dabei richten sie ihren Blick auf Wechselwirkungen, Beziehungsdynamiken und Bedeutungszuschreibungen.

Typische Fragen, die sich aus systemischem Denken ergeben:
‱ Wie hĂ€ngt das Verhalten von Herrn M. mit seinem Umfeld zusammen?
‱ Welche Muster oder Regeln bestimmen das Zusammenleben in seinem System (z. B. Familie, Wohngruppe, Team)?
‱ Welche Funktion erfĂŒllt sein Verhalten innerhalb dieses Systems?
‱ Was wĂŒrde sich verĂ€ndern, wenn sich eine Person oder eine Bedingung in seinem System verĂ€ndert?
‱ Wie sehen die anderen Beteiligten die Situation – und was bedeutet das fĂŒr das gemeinsame VerstĂ€ndnis?
‱ Welche Ressourcen, StĂ€rken und Lösungen sind bereits im System vorhanden?
‱ Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Herrn M., Familie, Institution und Gesellschaft?
‱ Wie kann Kommunikation so gestaltet werden, dass neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten entstehen?

Systemisches Denken richtet den Blick also nicht auf „das Problem“ einer einzelnen Person, sondern auf das Geflecht der Beziehungen und Bedeutungen, in dem dieses Problem entsteht und aufrechterhalten wird. Es geht weniger um Schuld oder Defizite, sondern darum, Verbindungen zu erkennen, Muster zu verstehen und Entwicklung zu ermöglichen.

Jean Piaget

Jean Piaget gilt nicht als Vertreter des systemischen Ansatzes im eigentlichen Sinn, hat aber mit seinen entwicklungspsychologischen Theorien wichtige Grundlagen geschaffen, die das systemische Denken beeinflusst haben.

Jean Piaget war ein schweizerischer Entwicklungspsychologe, der als einer der bedeutendsten Forscher der Lernpsychologie des 20. Jahrhunderts gilt. Er beschĂ€ftigte sich intensiv mit der Frage, wie Kinder denken, lernen und Wissen aufbauen. Seine Arbeiten legten die Grundlage fĂŒr viele moderne pĂ€dagogische und psychologische Konzepte – auch fĂŒr die Behindertenarbeit und Sozialbetreuung.

Piaget verstand kindliche Entwicklung als einen aktiven, dynamischen Prozess, in dem das Kind nicht passiv auf Reize reagiert, sondern sich durch Wechselwirkungen mit seiner Umwelt stÀndig weiterentwickelt. Dieses Wechselspiel zwischen Kind und Umwelt ist ein zentrales Prinzip, das auch im systemischen Denken wiederzufinden ist.

Piaget ging davon aus, dass Kinder aktiv lernen, also ihr Wissen selbst konstruieren, indem sie ihre Umwelt erforschen und Erfahrungen einordnen. Lernen bedeutet fĂŒr ihn stĂ€ndige Anpassung (Adaptation) an neue Situationen durch zwei Prozesse:

  • Assimilation: Neues Wissen wird in bereits vorhandene Denkstrukturen eingefĂŒgt.
  • Akkommodation: Die vorhandenen Strukturen werden verĂ€ndert, um Neues zu verstehen.

Seine Konzepte der Assimilation und Akkommodation zeigen, dass Entwicklung nicht linear verlĂ€uft, sondern durch fortlaufende Anpassung und VerĂ€nderung im System „Mensch–Umwelt“ geschieht. Damit beschrieb Piaget bereits, wie Individuum und Umwelt in einem reziproken, also wechselseitigen Prozess miteinander verbunden sind – genau dieser Gedanke ist im systemischen Ansatz grundlegend.

Die 4 Entwicklungsstufen des Denkens

Piaget beschrieb die kognitive Entwicklung als Abfolge von vier Stufen:

  1. Sensomotorische Phase (0–2 Jahre):
    Lernen durch Bewegung, SinneseindrĂŒcke und direkte Erfahrung.
  2. PrĂ€operationale Phase (2–7 Jahre):
    Denken ist stark an das eigene Erleben gebunden, symbolisches Denken entsteht (z. B. durch Sprache, Rollenspiel).
  3. Konkret-operationale Phase (7–11 Jahre):
    Kinder können logisch denken, aber nur in Bezug auf konkrete Dinge.
  4. Formal-operationale Phase (ab ca. 12 Jahren):
    Abstraktes und hypothetisches Denken wird möglich.

Bedeutung fĂŒr die Sozialbetreuung

Piagets Theorie zeigt, dass Lernen entwicklungsabhÀngig ist und Kinder (wie auch Erwachsene, mit und ohne kognitive BeeintrÀchtigungen) individuelle Entwicklungswege haben. Entwicklung verlÀuft also nicht gleichförmig, sondern orientiert sich an den persönlichen Voraussetzungen und Erfahrungen des Einzelnen. Weiterentwicklung kann nur dann stattfinden, wenn einem Menschen entsprechende Anregungen und Möglichkeiten geboten werden, die seinem Entwicklungsstand entsprechen und ihn gleichzeitig herausfordern, neue Erfahrungen zu machen. Die Aufgabe der Sozialbetreuung besteht daher darin, diese individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen, zu fördern und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Lernen, Wachstum und Selbstentfaltung möglich werden.

FĂŒr die Praxis bedeutet das:
‱ Menschen lernen am besten durch eigenes Tun und Erleben
‱ UnterstĂŒtzung soll an den vorhandenen Entwicklungsstufen ansetzen
‱ Lernumgebungen mĂŒssen anschaulich, aktivierend und verstĂ€ndlich gestaltet sein

Das System Familie

Das „System Familie“ ist ein zusammenhĂ€ngendes GefĂŒge von Beziehungen, das nach eigenen Regeln funktioniert und sich stĂ€ndig wechselseitig beeinflusst. GefĂŒhle, Rollen, Erwartungen, LoyalitĂ€ten und unausgesprochene Regeln bilden ein eigenes Muster, das sich auf jedes einzelne Familienmitglied auswirkt – und umgekehrt von jedem Mitglied mitgestaltet wird.

Der Begriff stammt aus der Allgemeinen Systemtheorie (vor allem Ludwig von Bertalanffy) und der Kybernetik. In den 1950er- bis 1970er-Jahren wurde dieser Zugang von der Familientherapie aufgegriffen und konkretisiert, etwa durch Paul Watzlawick und andere Vertreter der systemischen Therapie. Sie beobachteten:

Psychische Symptome, AuffĂ€lligkeiten oder Krisen einzelner Personen lassen sich oft besser verstehen, wenn man die Beziehungsdynamik der ganzen Familie betrachtet, statt nur das Individuum zu „reparieren“.

In der Sozialarbeit und Sozialpsychiatrie wurde dieser Ansatz ĂŒbernommen und weiterentwickelt; heute gehört der Blick auf „Familie als System“ zum Standard fachlicher Bezugstheorien.

Der Sinn des Begriffs „System Familie“ liegt in mehreren Punkten.
‱ Er verschiebt er den Blick weg von Schuldzuweisungen („Das Kind ist das Problem“, „Der Vater ist schuld“) hin zu Mustern der Interaktion („Wie tragen wir alle – bewusst oder unbewusst – zu dieser Situation bei?“).
‱ Er macht deutlich, dass jede VerĂ€nderung (z. B. Krankheit, Behinderung, Sucht, Trennung, Krise) das gesamte Familiensystem betrifft: Das System Familie befindet sich in einer immerwĂ€hrenden Schwebe: Rollen verschieben sich, MachtverhĂ€ltnisse Ă€ndern sich, Ressourcen werden neu verteilt. Jede VerĂ€nderung fĂŒhrt zu Konflikt, wodurch Spannungen entstehen.

Das Modell soll helfen, Ressourcen sichtbar zu machen: Familien haben nicht nur Belastungen, sondern auch tragende KrĂ€fte, Schutzfaktoren und Lösungsmuster, an die die Familie anknĂŒpfen kann. Viertens bietet es eine Grundlage fĂŒr fachliches Handeln: Wer mit einem „SymptomtrĂ€ger“ arbeitet, denkt systemisch mit, wer dazugehört, wie Kommunikation lĂ€uft, welche BĂŒndnisse oder Tabus bestehen und wie UnterstĂŒtzung so gestaltet werden kann, dass sie das System entlastet, statt es zusĂ€tzlich zu destabilisieren.

Herausforderungen im Familienalltag

Die Belastungen fĂŒr Familien mit behinderten Angehörigen sind oft erheblich und vielschichtig. HĂ€ufig mĂŒssen Eltern oder Partnerinnen* umfangreiche Pflege- und BetreuungsaufgabenÂ ĂŒbernehmen, was zu physischen (z. B. Schlafmangel, Erschöpfung durch dauernde Pflege) und psychischen Belastungen (anhaltender Stress, Sorgen, emotionale Erschöpfung) fĂŒhrt. Die stĂ€ndige Beaufsichtigung und Betreuung eines Kindes mit schwerer Behinderung kann den Alltag dominieren und in allen Lebensbereichen zu Druck und Anspannung fĂŒhren. In einer Befragung von Familien mit pflegebedĂŒrftigen Kindern gaben z. B. rund 64,8 % der Eltern an, dass sie sich emotional stark belastet fĂŒhlen; mehr als die HĂ€lfte berichtete von erheblicher körperlicher Belastung (52,3 %) sowie vom Zwang zu stĂ€ndiger Wachsamkeit (52,3 %) gegenĂŒber dem Kind[1].

Die Partnerschaft und das Familienleben insgesamt stehen unter Druck. Zeit fĂŒr Zweisamkeit oder fĂŒr die BedĂŒrfnisse der Geschwisterkinder bleibt oft wenig. Allerdings betonen Fachleute, dass nicht allein die Behinderung des Kindes ursĂ€chlich fĂŒr Beziehungsprobleme ist, sondern vor allem der Mangel an Entlastung und Kommunikation[2]. Dennoch weisen Untersuchungen darauf hin, dass insbesondere MĂŒtter von Kindern mit schweren Behinderungen hĂ€ufiger unzufrieden oder erschöpft sind als MĂŒtter von nicht behinderten Kindern. Insgesamt ist die Lebenssituation dieser Familien durch eine Dauerbeanspruchung gekennzeichnet, die ohne adĂ€quate UnterstĂŒtzung langfristig zu Überlastung fĂŒhren kann.

Auswirkungen der Geburt eines Kindes mit Behinderung: Die drei Fehlhaltungen

Die drei Fehlhaltungen sind eine in der Heil- und SonderpĂ€dagogik hĂ€ufig verwendete Typologie elterlicher Fehlhaltungen gegenĂŒber einem Kind mit Behinderung. Sie ist stark beeinflusst von systemischer Familientheorie, Bindungstheorie und behindertenpĂ€dagogischer Literatur, in der beschrieben wird, wie Eltern auf die Überforderung nach der Diagnose reagieren und wie sich dies auf das Familiensystem und die Entwicklung des Kindes auswirkt.

Die Geburt eines Kindes mit Behinderung schafft enormes Ungleichgewicht und die Reaktionen darauf können zu drei verschiedenen Fehlhaltungen fĂŒhren:

1. Schutzhaltung: Normalerweise lÀsst die Schutzhaltung durch Entwicklung und SelbststÀndigkeit des Kindes im Laufe der Zeit nach, bei behinderten Kindern ist dies jedoch oft anders. So sind Betroffene auch mit zunehmendem Alter oft in einer starken AbhÀngigkeit. Dies wirkt sich entwicklungshemmend aus, die Kinder entwickeln weniger Selbstvertrauen.
2. Feindliche Grundhaltung: Tatsache der Behinderung fĂŒhrt bei den Eltern zu EnttĂ€uschung, welche zu Unzufriedenheit fĂŒhrt. Die Eltern fĂŒhlen sich ĂŒberfordert und sind dem Kind gegenĂŒber weniger positiv eingestellt, was zu Zurechtweisungen, Ermahnungen oder Ungeduld fĂŒhrt. Das Kind ist den Eltern ausgeliefert.
3. Daseinsberechtigte Haltung: Das Kind wird zum alleinigen Lebensinhalt, und “bestimmt” den Alltag. Diese Fehlhaltung verhindert die VerselbststĂ€ndigung des Kindes.

Aus den drei Fehlhaltungen können sich stabile Muster entwickeln, die dem Kind schaden, obwohl sie subjektiv oft „gut gemeint“ sind. FĂŒr FachkrĂ€fte bietet die Typologie eine Orientierungshilfe, um problematische Haltungen zu erkennen, wertschĂ€tzend anzusprechen und Eltern beim Weg in eine realistische, liebevolle und entwicklungsförderliche Haltung zu unterstĂŒtzen – also eine Haltung, die Schutz, Akzeptanz, Zumutung von Entwicklungsschritten und eigene Grenzen in Balance bringt.

Die Rolle der Mutter in einer Familie mit einem Kind mit Behinderung

Die hier beschriebene sozialpsychologische Rollen-Typologie von MĂŒttern, vor allem von MĂŒttern mit behinderten oder chronisch kranken Kindern, stammen aus der kritischen Familien-, Frauen- und Behindertenforschung (unter anderem angelehnt an Arbeiten wie „Die bessere Elternschaft“ von Matthias Paul Krause und Ă€hnliche BeitrĂ€ge), die zeigen wollen, wie stark gesellschaftliche Normen („Eine gute Mutter opfert sich auf“, „Eine gute Mutter hat keine negativen GefĂŒhle“, „Eine gute Mutter fördert perfekt“) das Handeln von MĂŒttern prĂ€gen. Es geht um typische Muster, wie Frauen versuchen, den enormen Erwartungen an „gute Mutterschaft“ gerecht zu werden – und wie diese Muster sie selbst ĂŒberfordern und die Beziehung zum Kind beeinflussen können. Es ist also ein Reflexionsinstrument fĂŒr PĂ€dagogik, Sozialbetreuung, Sozialarbeit und Therapie – keine Schublade, in die man MĂŒtter stecken soll.

1. Die gute Mutter – traditionelle Rollenvorgaben, emotionale BedĂŒrfnisse der Kinder und des Mannes befriedigen, dadurch ergibt sich die eigene Zufriedenheit. Enorme Belastung durch das hinten Anstellen der eigenen BedĂŒrfnisse. Es fĂŒhrt zu Stress bei der Mutter.

2. Die bessere Mutter – Keine negativen GefĂŒhle gegen das Kind (passen nicht ins Rollenbild), manchmal Scham, Aggression oder Ablehnung. Emotionen wecken SchuldgefĂŒhle (ablehnende GefĂŒhle werden durch FĂŒrsorge kompensiert). Es herrscht eine symbiotische Beziehung – Kind kann sich nicht aus seiner Beziehung zur Mutter lösen, signalisiert Hilflosigkeit, ist wenig SelbststĂ€ndig und auf die Mutter angewiesen.

3. Die Therapeutin – Mutter sieht die Behinderung als Aufforderung fĂŒr ihr Kind aktiv zu werden. Übernimmt die Rolle der Ko-Therapeutin, sieht dadurch ihr Kind mehr als Patienten unter dem Blickwinkel von Diagnosen und FörderungsbedĂŒrfnissen. 

4. Die BerufstĂ€tige – BerĂŒcksichtigt kaum die eigenen BedĂŒrfnisse, Arbeit, Versorgung des Haushalts, Erziehung stehen im Vordergrund – fĂŒhrt zu Unzufriedenheit und erhöhte Stressbelastung. Beruf dient als Kompensation zum Alltag, wird als weniger Stress belastet empfunden. Hat auch positive Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind.

Diese Typologie macht sichtbar, wie normative Mutterbilder und der Umgang mit Behinderung ineinandergreifen, wo sich daraus Überforderungen und Fehlentwicklungen ergeben und wie FachkrĂ€fte sensibel darauf achten können, MĂŒtter nicht weiter in diese Rollen hineinzudrĂ€ngen, sondern realistische, entlastende und beziehungsförderliche Haltungen zu unterstĂŒtzen.

Die Rolle des Vaters in einer Familie mit einem Kind mit Behinderung

Diese Vaterrollen-Typologie ist kein medizinisches Modell, sondern ein beschreibendes Konzept aus der VĂ€terforschung, Familienforschung und BehindertenpĂ€dagogik. Die vier Figuren fassen typische Muster zusammen, wie VĂ€ter auf die Behinderung ihres Kindes reagieren und wie sie ihre Rolle definieren. Solche Typologien finden sich vor allem in deutschsprachigen Texten zu „VĂ€tern behinderter Kinder“ (u. a. Kallenbach, Hinze, Seifert, VĂ€terforschung seit den 1980er/90er Jahren), die beschreiben, wie traditionelle Leitbilder (ErnĂ€hrer, Außenminister, starke Vernunftfigur) und neuere Leitbilder (emotional prĂ€senter „neuer Vater“) sich ĂŒberlagern und in Spannung geraten.

1. Der Rationale – die rationale Haltung fĂŒhrt zu illusionsloser und realistischer Einstellung zur Behinderung und erleichtert dadurch die Rolle als Vater eines behinderten Kindes.

2. Der ErnĂ€hrer der Familie – ErwerbstĂ€tigkeit des Vaters fĂŒhrt zu grĂ¶ĂŸerer Distanz zum Kind. Die Abwesenheit sorgt fĂŒr weniger Auseinandersetzung mit Entwicklungsproblemen und der Behinderung, und das Kind mit seinen Problemen und Förder- und Betreuungsaufwand wird zu einer Angelegenheit fĂŒr die MĂŒtter.

3. Der Mittler zwischen Gesellschaft und Familie – traditionell ist der Vater das Bindeglied zwischen Familie und Gesellschaft. Bei behinderten Kindern besteht die Furcht vor den Verhaltensweisen und Einstellungen anderer.

4. Die neuen VĂ€ter – VĂ€ter ĂŒbernehmen mehr die Kinderpflege, dadurch entsteht eine intensivere emotionale Bindung. Eine Auseinandersetzung mit der Behinderung bewirkt eine PersönlichkeitsverĂ€nderung.

Fachrichtungen, die damit arbeiten, sind vor allem die Heil- und SonderpĂ€dagogik, SozialpĂ€dagogik, Sozialbetreuung, Soziale Arbeit, Familien- und VĂ€terberatung, Psychologie, systemische Therapie und FrĂŒhförderung. Dort werden diese Rollenbilder genutzt, um sichtbar zu machen, welchen Ă€ußeren und inneren Erwartungen VĂ€ter ausgesetzt sind (Versorgerrolle, StĂ€rke, RationalitĂ€t, GrenzgĂ€nger zwischen „normaler“ Gesellschaft und „besonderer“ Familie). Das soll helfen, zu verstehen, wie Distanz, Überengagement, Vermeidung oder Überidentifikation entstehen können und wie sie die Beziehung zum Kind und zur Partnerin beeinflussen, und um VĂ€ter nicht zu beschuldigen, sondern ihnen zu helfen, ihre eigene Position zu reflektieren und eine stimmige, tragfĂ€hige, emotional zugewandte Vaterrolle zu finden.

Der Sinn dahinter ist also ein klar pĂ€dagogisch-beraterischer: Diese Typologie ist ein Reflexionswerkzeug, kein Etikett. Sie soll Strukturen und Belastungen sichtbar machen, GesprĂ€che eröffnen („Wo erkenne ich mich wieder? Was tut mir gut? Was hilft meinem Kind?“) und FachkrĂ€ften helfen, Angebote passender zu gestalten – hin zu geteilter Verantwortung, echter Beteiligung der VĂ€ter und einer entwicklungsförderlichen FamilienatmosphĂ€re.

Die Rolle des Geschwisterkindes in einer Familie mit einem Kind mit Behinderung

Eine Geschwisterbeziehung ist die dauerhafteste und prĂ€gendste Beziehung im Leben eines Menschen. Sie beginnt in der frĂŒhesten Kindheit und besteht meist bis ins hohe Erwachsenenalter. Bei Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern lernen sich diese zu behaupten und bilden ihre IndividualitĂ€t aus.

Verantwortung – RĂŒcksichtnahme und Übernahme von Verantwortung, Mithilfe bei Betreuung. Eigene kindliche BedĂŒrfnisse werden oft vernachlĂ€ssigt.

RivalitĂ€t – elterliche Zuwendung gilt meist dem behinderten Kind, Kampf um Anerkennung und Macht ist schwierig. Neid auf die Vorteile des behinderten Kindes, andererseits Einsicht, nicht in der Situation sein zu wollen.

EntschĂ€digung – Nichtbehinderte Geschwister bekommen große Bedeutung fĂŒr die Eltern als “EntschĂ€digung”. Dadurch stellen diese Kinder hohe AnsprĂŒche an sich selbst und wollen Eltern nicht enttĂ€uschen.

Die Dreifachstruktur „Verantwortung – RivalitĂ€t – EntschĂ€digung“ fasst wiederkehrende Muster zusammen, die in der Geschwisterforschung und BehindertenpĂ€dagogik immer wieder beschrieben werden: erhöhte VerantwortungsĂŒbernahme, ambivalente GefĂŒhle von Eifersucht und LoyalitĂ€t, und die Funktion des nicht behinderten Kindes als „Kompensation“ oder „EntschĂ€digung“ fĂŒr die elterliche EnttĂ€uschung und Überforderung. Solche Beschreibungen finden sich in verschiedenen Arbeiten zu Geschwistern von Kindern mit Behinderung (u. a. in der heil- und sonderpĂ€dagogischen Literatur, systemischer Familienarbeit und familienpsychologischen Studien), sie wurden eher verdichtet herausgearbeitet als unter einem geschĂŒtzten Modellnamen veröffentlicht.

Mit diesem Arbeits- und Deutungsmodell arbeiten vor allem Heil- und SonderpĂ€dagogik, Sozialbetreuung, SozialpĂ€dagogik, Klinische und Familienpsychologie, systemische Therapie, FrĂŒhförderung, Familien- und Angehörigenberatung sowie sozialpsychiatrische Dienste. Dort dient das Konzept als Reflexions- und Wahrnehmungshilfe, nicht als Etikettierung. Menschen in sozialen Berufen soll dieses Arbeitsmodell helfen, die Lage von Geschwistern behinderter Kinder differenziert und wertschĂ€tzend zu verstehen, Risiken zu erkennen und gezielt UnterstĂŒtzung, Entlastung und StĂ€rkung anzubieten.

Der Sinn dahinter besteht darin, drei Dinge sichtbar zu machen. Erstens: Geschwister nicht als „Nebendarsteller“ zu sehen, sondern als massiv mitbetroffen – mit eigenen LoyalitĂ€tskonflikten, verdeckter Überforderung, SchuldgefĂŒhlen, Anpassungsleistungen und Ressourcen. Zweitens: Typische Risikodynamiken zu erkennen, zum Beispiel Überverantwortung („das brave Starksein“), unerlaubte RivalitĂ€t („ich darf nicht neidisch sein“) oder das „EntschĂ€digungskind“, das perfekt funktionieren will, um die Eltern nicht noch mehr zu belasten. Drittens: FachkrĂ€fte und Eltern zu sensibilisieren, frĂŒh gegenzusteuern – Geschwistern Raum fĂŒr eigene BedĂŒrfnisse, Ambivalenzen, Autonomie und Anerkennung zu geben, statt sie unbewusst in kompensatorische Rollen zu drĂ€ngen.

Das UnterstĂŒtzungssystem

Das UnterstĂŒtzungssystem bezeichnet aus systemischer Sicht das Beziehungs- und Kooperationsnetz, das eine Person in einer belastenden Lebenssituation trĂ€gt. Es umfasst die betroffene Person selbst ihre Angehörigen und die beteiligten FachkrĂ€fte und Dienste (z. B. Sozialbetreuung, Medizin, Therapie, Schule, Wohneinrichtungen, Behörden). Entscheidend ist: Dieses GefĂŒge wird als ein eigenes System verstanden – mit Mustern, Rollen, Erwartungen, Allianzen, MachtverhĂ€ltnissen, Kommunikationsformen und Ressourcen, die sich wechselseitig beeinflussen.

Wissenschaftlich knĂŒpft der Begriff an die Allgemeine Systemtheorie (Ludwig von Bertalanffy) und die darauf basierende systemische Therapie und PĂ€dagogik an. Dort gilt: Menschen lassen sich nicht isoliert verstehen, sondern immer in ihren relevanten Beziehungssystemen. Parallel dazu prĂ€gt die ökologische Perspektive (z. B. Urie Bronfenbrenner, Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit) den Gedanken, dass Hilfe nicht nur im „Einzelkontakt“ passiert, sondern in einem Netzwerk aus Familie, Institutionen und Lebenswelten. In der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie wurde daraus zunehmend die Idee eines kooperativen UnterstĂŒtzungssystems entwickelt: Betroffene, Angehörige und Profis stehen nicht hierarchisch in einer Einbahnstraße, sondern wirken gemeinsam in einem Aushandlungs- und Lernprozess (Stichwort: Trialog, Partizipation, Empowerment).

Der Sinn dieses Modells liegt aus systemischer Perspektive in mehreren Punkten. Es verschiebt den Blick weg von der Vorstellung, einzelne Personen seien „das Problem“ oder mĂŒssten alleine „therapiert“ werden. Stattdessen wird sichtbar, wie Interaktionen, Rahmenbedingungen, Rollenbilder und institutionelle Strukturen dazu beitragen, ob eine Krise sich verschĂ€rft oder bewĂ€ltigbar wird. Das UnterstĂŒtzungssystem dient als Konzept, um Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, Kooperation bewusst zu gestalten und Ressourcen zu aktivieren: Wer kann was beitragen? Wo entstehen Doppelbotschaften, LoyalitĂ€tskonflikte, Überforderungen? Wo braucht es klare Absprachen, damit Hilfe nicht zur Bevormundung wird und Angehörige nicht ausbrennen? Zugleich schĂŒtzt das Modell vor Vereinzelung: Die Fachkraft ist nicht „Retterin*“, die Familie nicht „schuld“, die betroffene Person nicht „Objekt“, sondern alle werden als beteiligte Subjekte in einem gemeinsamen Prozess gesehen.

SpannungsverhĂ€ltnisse zwischen Eltern/Erziehungsberechtigten und Fachleuten im UnterstĂŒtzungssystem

‱ unterschiedliche Erwartungen, Zuschreibungen und MachtverhĂ€ltnisse
‱ Spannungen sind nicht „Störungen“ sondern Signale fĂŒr unterschiedliche Logiken: Familienlogik, Professionslogik, Institutionslogik
‱ SpannungsverhĂ€ltnis Expertentum-Betroffenheit: Fachwissen gegen Betroffenheit und Lebensweltwissen. Wird eine Perspektive absolut gesetzt, entsteht Hierarchie, KrĂ€nkung und Widerstand, richtig: geteilte Expertise
‱ SpannungsverhĂ€ltnis NĂ€he-Distanz: VerstĂ€ndnis versus professionelle Distanz, die schnell kalt oder formal wirken kann, zu viel NĂ€he im professionellen Handeln kann zu Koalitionen fĂŒhren („wir gegen den anderen Elternteil“ oder „wir gegen die Einrichtung“) – unprofessionell, systemisch relevante Fragen: Wer steht mit wem in BĂŒndnis? Wer wird ausgeschlossen? Welche Funktion hat diese NĂ€he oder Distanz im gesamten System?
SpannungsverhĂ€ltnis Hilfe-Kontrolle: Angebote sind rechtlich oder finanziell an PrĂŒfungen, Dokumentation und Zielvereinbarungen gebunden, dies wird von Eltern als Kontrolle erlebt, wichtig: offenlegen, in wessen Auftrag man handelt, was verĂ€nderbar ist und wo Grenzen sind
SpannungsverhĂ€ltnis Schutz des Kindes-LoyalitĂ€t zur Familie: Sozialbetreuung ist dem Wohl des behinderten Menschen verpflichtet, muss Dinge ansprechen, die Eltern als Kritik erleben: Überforderung, ÜberbehĂŒtung, VernachlĂ€ssigung, fehlende Förderung, sinnvoll: ein Rahmen, in dem alles ausgesprochen und bearbeitet werden darf, ohne dass jemand zum „Fehlverhalten“ erklĂ€rt wird

In der systemischen Sichtweise ist das UnterstĂŒtzungssystem aus Eltern/Erziehungsberechtigten, behinderten Menschen und Fachleuten immer ein Geflecht wechselseitiger Erwartungen, Zuschreibungen und MachtverhĂ€ltnisse. Spannungen sind nicht „Störungen“, sondern Signale dafĂŒr, dass unterschiedliche Logiken, BedĂŒrfnisse und AuftrĂ€ge aufeinandertreffen: Familienlogik, Professionslogik, Institutionslogik. Systemisch gedacht geht es nie darum, „die schwierigen Eltern“ oder „die unflexiblen FachkrĂ€fte“ zu finden, sondern die Muster zwischen ihnen zu verstehen.

Ein zentrales SpannungsverhĂ€ltnis liegt zwischen Expertentum und Betroffenheit. Fachleute bringen Fachwissen, Methoden, Diagnostik, rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen ein. Eltern hingegen bringen Alltagserfahrung, emotionale Betroffenheit, Lebensweltwissen und Sorgeverantwortung ein. Wenn eine Seite ihre Perspektive absolut setzt – etwa das klassische Expertenmodell („wir wissen, was gut ist“) oder umgekehrt ein Misstrauensmodell („die da draußen schaden meinem Kind“) –, entsteht Hierarchie, KrĂ€nkung und Widerstand. In einem systemischen VerstĂ€ndnis wird stattdessen von geteilter Expertise ausgegangen: Eltern sind Experten fĂŒr ihr Kind und seine Lebenswelt, FachkrĂ€fte fĂŒr Rahmenbedingungen und Methoden. Kooperation bedeutet Aushandeln, nicht Durchsetzen.

Ein weiteres Spannungsfeld ist NĂ€he und Distanz. Eltern wĂŒnschen sich VerstĂ€ndnis, Halt und echte Beziehung, sind aber zugleich sensibel gegenĂŒber Beurteilung, Schuldzuweisungen und Stigmatisierung. FachkrĂ€fte brauchen professionelle Distanz, stehen jedoch in Gefahr, kalt oder formal zu wirken. Umgekehrt können sie zu nah werden, Koalitionen bilden („wir gegen den anderen Elternteil“ oder „wir gegen die Einrichtung“) oder an die Stelle der Eltern rutschen. Systemisch relevante Fragen lauten hier: Wer steht mit wem in BĂŒndnis? Wer wird ausgeschlossen? Welche Funktion hat diese NĂ€he oder Distanz im gesamten System?

Dazu kommt das SpannungsverhĂ€ltnis zwischen Hilfe und Kontrolle. Viele Angebote der Behindertenhilfe, Sozialarbeit oder Jugendhilfe sind rechtlich oder finanziell an PrĂŒfungen, Dokumentation und Zielvereinbarungen gebunden. Eltern erleben das schnell als Kontrolle oder Bewertung ihrer Erziehung. FachkrĂ€fte stehen im Dilemma zwischen unterstĂŒtzender Beziehung und Auftragslogik der Institution. Systemisch bedeutet das: Spannungen werden nicht personalisiert, sondern im Kontext von Rollen und AuftrĂ€gen verstanden. Hilfreich ist Transparenz: offenlegen, in wessen Auftrag man handelt, was verĂ€nderbar ist und wo Grenzen sind.

Ein klassisches Konfliktfeld ist auch Schutz des Kindes versus LoyalitĂ€t zur Familie. FachkrĂ€fte sind dem Wohl des behinderten Menschen verpflichtet und mĂŒssen mitunter Dinge ansprechen, die Eltern als Kritik erleben: Überforderung, ÜberbehĂŒtung, Grenzen, ambivalente GefĂŒhle, VernachlĂ€ssigung, fehlende Förderung. Eltern wiederum stehen in LoyalitĂ€t zu sich selbst, zur Partnerschaft, zu Geschwistern, zum chronisch belasteten Alltag. Systemisch betrachtet sind LoyalitĂ€tskonflikte normal. Sinnvoll ist ein Rahmen, in dem sie ausgesprochen und bearbeitet werden dĂŒrfen, ohne dass jemand sofort zum „Fehlverhalten“ erklĂ€rt wird.

Das Hilfedreieck Klient* – Familie – Fachkraft/Institution

Das Kooperations- bzw. „Hilfedreieck Klient‱ – Familie – FachkrĂ€fte/Institution“ macht deutlich, dass jede VerĂ€nderung immer alle drei Ecken betrifft und dass Spannungen oft aus unausgesprochenen Erwartungen in diesem Dreieck entstehen.

Der Trialog

In der Sozialpsychiatrie und Behindertenhilfe ist zudem der Trialog etabliert: Betroffene, Angehörige und Professionelle begegnen sich auf Augenhöhe.

Expertenmodell versus Dienstleistungs- oder Kundenmodell versus Partnerschaftsmodell

Mit dem Hilfedreieck verbunden sind Modelle der Elternarbeit, die typische Haltungen beschreiben: das Expertenmodell (Fachkraft dominiert), das Dienstleistungs- oder Kundenmodell (Eltern bestimmen, Profis liefern), und das Partnerschaftsmodell, in dem beide Seiten als Ko-Expertinnen kooperieren. Systemische AnsĂ€tze, familienzentrierte FrĂŒhförderung und partizipative Behindertenhilfe orientieren sich ausdrĂŒcklich am Partnerschaftsmodell.

Quellen:
[1] Belastung von Eltern eines Kindes mit schwerster Behinderung, Sabrina Fellner, univie.ac.at
[2] Eine qualitative Studie zur Situation von Familien mit erwachsenen Kindern mit kognitiver Behinderung, Belastungs- und BewÀltigungsprozesse in der hÀuslichen Care-Arbeit, Susanne Könighofer, fh-joanneum.at

Literatur zur Systemtheorie:
Systemtheorie: Theoretische und methodische Fragmente zur EinfĂŒhrung in den systemischen Ansatz, Prof. Dr. Heiko Kleve, 2005, Forschungsnetzwerk AMS, forschungsnetzwerk.ams.at
Österreichische Arbeitsgemeinschaft fĂŒr systemische Therapie und systemische Studien, https://oeas.at


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