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Kompetenz der Sozialbetreuung: Empowerment

Unterrichtsfach: Behindertenarbeit


24.10.2025

Empowerment heißt Selbstermächtigung

Der englische Begriff Empowerment wird im Deutschen mit Selbstermächtigung oder -befähigung übersetzt.

Empowerment ist ein Konzept aus der Gesundheitsförderung und der Public-Health-Modelle, insbesondere der Ottawa-Charta der WHO (1986).

Im sozialpsychiatrischen Sinn bedeutet Empowerment, vorhandene Stärken und Ressourcen zu aktivieren, die es dem Einzelnen ermöglichen, Probleme und Krisen aus eigener Kraft zu bewältigen und ein autonomes Leben zu führen.

Im sozialen Sinn bedeutet Empowerment, dass betroffene Menschen sich aus dem Käfig der Abhängigkeit und Fremdbestimmung begeben. Die Position der Ohnmacht wird aufgegeben; betont wird der Aspekt der Selbsthilfe und der aktiven Selbstorganisation.

Im sozialpädagogischen Sinn heißt Empowerment die Ermöglichung und Förderung von Selbstbestimmung durch andere. Diese geben Hilfestellung zur Entwicklung von Selbstbestimmung und begleiten den Prozess zur Erlangung von Autonomie.

In der Behindertenarbeit ist Empowerment ein theoriegestütztes Konzept, das sich auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung bezieht. In diesem Konzept geht es darum, das traditionelle Helfermodell aufzugeben und sich auf Zusammenarbeit mit dem Klienten einzulassen. Der Ansatz hat sich der Ressourcenorientierung verschrieben. Empowerment würdigt die positiven Aspekte und Fähigkeiten des Menschen.

Handlungsbestimmende Grundeinsichten

  • Orientierung an Ressourcen statt an Defiziten – der Fokus liegt auf den vorhandenen Fähigkeiten und Stärken des Menschen, nicht auf seinen Schwächen oder Einschränkungen
  • Radikale Annahme des So-Seins des Anderen – der Mensch wird in seiner individuellen Art, seinem Erleben und Verhalten vollständig angenommen
  • Vertrauen in individuelle und soziale Ressourcen – es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch über innere und äußere Kräfte verfügt, die zur Bewältigung seines Lebens beitragen können
  • Verzicht auf entmündigende und etikettierende Expertenurteile – Sozialbetreuer vermeiden Bewertungen, die Menschen bewerten und fördern stattdessen Selbstbestimmung
  • Respekt vor der Sicht des Anderen – die persönliche Wahrnehmung und Erfahrung des Gegenübers wird ernst genommen und wertgeschätzt
  • Respekt vor den Entscheidungen des Anderen – auch dann, wenn sie nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen
  • Anerkennung des Rechts auf Mitbestimmung – Menschen werden aktiv in Entscheidungen einbezogen, die ihr Leben betreffen
  • Akzeptanz unkonventioneller Lebensentwürfe – alternative Wege und Lebensformen werden als gleichwertig angesehen
  • Zentraler Grundwert: Selbstbestimmung des Menschen – jeder Mensch hat das Recht, über sein eigenes Leben zu entscheiden
  • Aktive Mithilfe beim Abbau sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung – Förderung von Inklusion – Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können
  • Volle Zustimmung zu den Menschenrechten – sie bilden die ethische und moralische Grundlage unseres Handelns

Empowerment in der Praxis

Es gibt keine einzelne „Empowerment-Methode“, sondern mehrere pädagogische Ansätze, die gemeinsam darauf zielen, Menschen mit Behinderungen zu befähigen, ihre Fähigkeiten zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und die Erfahrung zu machen: „Ich kann mein Leben mitgestalten.“

  • Förderung von Selbstwirksamkeit („Ich kann etwas bewirken“)
  • Ermöglichen von Entscheidungssituationen im Alltag
  • Gemeinsame Zielplanung, anstatt Vorgaben durch Betreuende
  • Reflexionsgespräche über Erfolge und Rückschläge
  • Konzept der Lernerfolgserfahrungen
  • Erstellen individueller Lebens- oder Entwicklungspläne
  • Förderung von Selbstentscheidungen in kleinen, alltagsnahen Schritten
  • Arbeiten mit Bildern, Symbolen, Leichter Sprache oder unterstützter Kommunikation

Konzept der „Lernerfolgserfahrungen“ (Bandura / Pädagogische Psychologie)

Praktische Umsetzung in der Behindertenarbeit:

  • Aufgaben in angemessener Schwierigkeit anbieten (nicht zu leicht, nicht zu schwer).
  • Erfolge sichtbar machen, z. B. durch Fotos, Lob, Rückmeldungen.
  • Vorbilder in der Gruppe nutzen (Peer Learning).
  • Sicherheit und Vertrauen in Lernprozessen vermitteln.

Peer-Counseling und Selbstvertretung (z. B. People First, Wibs Innsbruck)

  • Peer-Gruppen, in denen eigene Erfolge geteilt werden („Ich habe es geschafft, allein zu wohnen“).
  • Schulungen zu Kommunikation, Rechte, Selbstvertretung.
  • Menschen lernen voneinander durch gemeinsames Handeln.

Unterstützte Entscheidungsfindung

  • Aufklärung über Alternativen in verständlicher Form (Leichte Sprache, Piktogramme)
  • Begleitung durch vertraute Personen als Entscheidungshilfe
  • Übungen im Abwägen von Konsequenzen
  • Anerkennung von nonverbalen Ausdrucksformen als Entscheidung

Empowerment dient auch als gesellschaftliches Korrektiv – für mehr Menschlichkeit, mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr solidarischem Miteinander.

Quellen:

Weiterführende Literatur zu Empowerment:
Dorsch – Lexikon der Psychologie, dorsch.hogrefe.com
Empowerment als pädagogisches Leitprinzip, Dorothee Meyer Bettina Lindmeier, Bundeszentrale für politische Bildung Deutschland, www.bpb.de
Empower Us International, inclusion-international.org


Bild: AI