Unterrichtsfach: Behindertenarbeit
21.09.2025
Offizielle Definition des Begriffs Behinderung
Unter dem Begriff Behinderung versteht man eine langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung, die den Betroffenen* aufgrund zahlreicher Barrieren daran hindern, uneingeschränkt in Interaktion mit seiner Umwelt zu treten.
UN Behindertenrechtskonvention, Artikel 1, Satz 2[1]
Der Begriff „langfristig“: wenn Beeinträchtigungen länger als 6 Monate andauern
Barrieren
Im Zusammenhang mit Behinderung werden verschiedene Begriffe für Barrieren verwendet:
- Bauliche Barrieren: Treppen, enge Türen, fehlende Aufzüge
- Kommunikative Barrieren: fehlende Gebärdensprachdolmetscher, unverständliche Fachsprache, keine Leichte Sprache, keine Unterstützte Kommunikation (Sprachassistenzsysteme bzw. Sprachcomputer)
- Digitale Barrieren: Webseiten ohne Screenreader-Kompatibilität, nicht untertitelte Videos
- Gesellschaftliche Barrieren: Vorurteile, Diskriminierung, Stigmatisierung
- Institutionelle Barrieren: bürokratische Hürden, fehlende Unterstützungsangebote
Der Deinstitutionalisierungsprozess in Europa
Der Deinstitutionalisierungsprozess in Europa beschreibt den gesellschaftlichen und politischen Wandel weg von der Unterbringung von Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen oder anderen Unterstützungsbedarfen in großen, oft abgeschlossenen Einrichtungen hin zu mehr Selbstbestimmung, Teilhabe und Leben in der Gemeinschaft.
Ausgangspunkt war die Kritik an Heimen und Anstalten, die häufig mit Isolation, Fremdbestimmung und menschenunwürdigen Bedingungen verbunden waren. Ab den 1960er-Jahren setzte zunächst in Skandinavien, später in ganz Europa, ein Umdenken ein. Zentral wurde die Idee der Normalisierung: Menschen mit Behinderungen sollen die Möglichkeit haben, so normal wie möglich zu leben – mitten in der Gesellschaft (Normalisierungsprinzip).
Wichtige Impulse kamen auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention (2006), die das Recht auf Inklusion und selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft festschreibt. Viele europäische Staaten haben seitdem Programme gestartet, um stationäre Großheime zu verkleinern oder ganz abzubauen und stattdessen ambulante Dienste, betreute Wohnformen und inklusive Strukturen zu fördern.
Der Prozess verläuft jedoch unterschiedlich schnell: Während einige Länder weitgehend auf gemeindenahe Unterstützungsangebote setzen (Schweden, Norwegen), gibt es in anderen Regionen noch viele große Einrichtungen (Österreich, Deutschland, Schweiz, Rumänien). Herausforderungen bestehen vor allem in der Finanzierung, im Aufbau von barrierefreien Wohnungen, in der Schulung von Fachkräften und im Abbau gesellschaftlicher Vorurteile.
Erziehungsauftrag versus Bildungsauftrag
In Europa wird zwischen Erziehungsauftrag und Bildungsauftrag unterschieden. Beide Begriffe verfolgen unterschiedliche Zielrichtungen und Inhalte im pädagogischen und rechtlichen Kontext. Pädagogen* (zu denen auch die Behindertenbetreuung gehört) haben einen im Art. 14, Abs. 6 B-VG[2] verfassungsrechtlich verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag. Zum Vergleich: Justizwachebeamte* übernehmen primär einen erzieherischen Auftrag.
Begriffsunterschied: Erziehungsauftrag vs. Bildungsauftrag
- Der Bildungsauftrag bezieht sich lt. Verfassung auf die Vermittlung von Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten, die junge Menschen für ihr Leben und ihren künftigen Beruf benötigen. Es geht also um schulische und lebenspraktische Bildung, Selbsttätigkeit und die Entwicklung kognitiver und sozialer Fähigkeiten.
- Der Erziehungsauftrag umfasst dagegen den Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, Wertebildung und sozialen Integration. Hier stehen die Entwicklung von Verantwortung, sozialen Kompetenzen, Selbstbewusstsein und die Mitwirkung an der Erziehung im Vordergrund.
Rechtliche Vorgaben in Österreich
- Gemäß Art. 14 Abs. 5a B-VG[2] und dem Schulorganisationsgesetz (§ 2 SchOG)[3], erfüllen österreichische Schulen neben dem Bildungsauftrag auch einen „Auftrag zur Mitwirkung an der Erziehung“.
- § 47 SchUG (Schulunterrichtsgesetz)[4] legt fest, dass Lehrer in der Unterrichts- und Erziehungsarbeit persönlichkeits- und gemeinschaftsbildende Erziehungsmittel einsetzen müssen (z.B. Anerkennung, Aufforderung, Zurechtweisung). Dies bedeutet, sie sind gleichzeitig für Bildung und Erziehung verantwortlich.
Aufgabenverteilung: Lehrer, Justizwachebeamte, Pädagogen
| Berufsgruppe | Bildungsauftrag | Erziehungsauftrag | Rechtsgrundlagen |
|---|---|---|---|
| Lehrer | Ja | Ja | SchUG, SchOG, B-VG |
| Pädagogen (Kiga etc.) | Ja | Ja | Bildungsrahmenplan |
| Justizwachebeamte | Nein | Ja | Ausbildung, Strafvollzugsrecht |
Viele Pädagogen* und Lehrer* wehren sich jedoch gegen den in der Verfassung verankerten Erziehungsauftrag.
Viele Lehrer* und Pädagogen* betonen, sie hätten „nur einen Bildungsauftrag“. Die Gründe dafür sind unter anderem folgende:
- Historische Tradition und Selbstverständnis: In der Lehrerinnenausbildung stand lange die Wissensvermittlung im Zentrum. Der Bildungsbegriff wurde oft auf fachliches Lernen reduziert. Viele Lehrkräfte verstehen sich daher primär als Fachvermittler* und weniger als Erzieher*.
- Abgrenzung zu den Eltern: Lehrer* empfinden den Erziehungsauftrag manchmal als Eingriff in den Bereich der Familie. Viele sagen: „Erziehung ist Sache der Eltern, unsere Aufgabe ist Bildung.“ Dieses Spannungsverhältnis führt zu einer bewussten Abwehrhaltung, weil man sich nicht zuständig oder nicht legitimiert fühlt, in familiäre Wertefragen einzugreifen.
- Rechtliche Unsicherheit: Obwohl der Erziehungsauftrag im BVG steht, wird er in der Praxis oft schwer greifbar. Während Bildungsstandards klar definiert und überprüfbar sind, bleibt Erziehung diffuser (z. B. Werte, soziales Verhalten, Persönlichkeitsbildung). Viele Lehrer* fürchten, an Erwartungen gemessen zu werden, die sie nicht erfüllen können oder die über ihre professionelle Rolle hinausgehen.
- Arbeitsbelastung und Rollenverständnis: Der Alltag an Schulen ist stark von Leistungsdruck, Stofffülle und administrativen Aufgaben geprägt. Für viele Lehrkräfte erscheint es realistisch, sich auf „Bildung“ zu beschränken. Den Erziehungsauftrag empfinden sie als kaum leistbare Aufgabe.
- Gesellschaftlicher Diskurs: In öffentlichen Debatten wird Lehrern* oft Verantwortung für gesellschaftliche Probleme (z. B. Integration, Wertevermittlung, Gewaltprävention) zugeschoben. Viele wehren sich dagegen mit dem Hinweis, dass ihre Kernaufgabe „Bildung“ sei, während Erziehung primär in den Familien passieren müsse.
In der europäischen Diskussion wird klar zwischen Bildung (Wissens- und Kompetenzvermittlung) und Erziehung (Werte, Haltungen, soziale Fähigkeiten) unterschieden. Österreich ist insofern besonders, als beides verfassungsrechtlich untrennbar festgeschrieben ist. In der Praxis aber führt diese Doppelrolle zu Spannungen, weil Lehrer* den Bildungsauftrag klarer definiert und abgrenzbarer empfinden, während der Erziehungsauftrag oft als diffuse Zusatzbelastung erlebt wird.
Kein Erziehungsauftrag für Behindertenarbeit mit Erwachsenen
Der verfassungsrechtliche Erziehungs- und Bildungsauftrag in Österreich richtet sich an Schulen und damit primär an die Pädagogik mit Minderjährigen. In der Behindertenarbeit mit Erwachsenen gilt ein anderer Rahmen: Maßgeblich sind Selbstbestimmungsrechte Erwachsener, die UN-Behindertenrechtskonvention, das Erwachsenenschutzrecht sowie die einschlägigen Landesgesetze der Sozialbetreuung. Aus dieser Rechts- und Wertebasis folgt, dass Fachsozialbetreuer* bei Erwachsenen nicht „erziehen“, sondern begleiten, befähigen und bilden.
Der Begriff „Erziehung“ impliziert ein asymmetrisches Verhältnis mit normsetzender Einflussnahme auf Werte und Lebensführung. Bei volljährigen Klienten* wäre das fachlich wie rechtlich problematisch, weil deren Autonomie, Privatsphäre und Wahlfreiheit oberste Leitplanken sind. Professionelle Behindertenarbeit orientiert sich deshalb an Personenzentrierung, Empowerment, Unterstützter Entscheidungsfindung, ICF-basierten Teilhabezielen und Recovery-bzw. Lebensweltorientierung. Wo Lernprozesse stattfinden – etwa beim Training alltagspraktischer Fertigkeiten, bei Gesundheitskompetenz, Kommunikation oder Arbeit – spricht man von „Bildungsauftrag“ im Sinne der Erwachsenenpädagogik (Andragogik), nicht von Erziehung.
Dass sich die Fachlichkeit deutlich vom „Erziehungsauftrag“ abgrenzen, hat noch zwei Gründe. Erstens ist der Begriff historisch belastet, weil institutionszentrierte Betreuung früher oft paternalistisch begründet wurde. Zweitens gibt es in Wohn- oder Tagesstrukturen zwar Schutz- und Ordnungsregeln (Hausordnung, Arbeitssicherheit, Gewaltprävention, Hygiene), doch deren Durchsetzung dient der Sicherheit und den Rechten aller und darf nicht als „Erziehen“ individueller Lebensführung verstanden werden.
Kurz gesagt: Bei Erwachsenen in der Behindertenarbeit besteht ein Bildungs- und Unterstützungsauftrag auf Augenhöhe, nicht auf Erziehung. Er zielt auf Teilhabe, Kompetenzerweiterung und selbstbestimmte Lebensführung – nicht auf Erziehung im schulischen oder elterlichen Sinn. Wenn Sie möchten, formuliere ich Ihnen daraus eine prägnante Passage für Unterlagen oder Unterrichtsskripten.
Der Begriff „Euphemismus„
Ein Euphemismus ist eine sprachliche Beschönigung. Damit wird eine Realität durch eine „mildere“ oder „positiver klingende“ Ausdrucksweise ersetzt, um negative Assoziationen abzumildern oder unangenehme Wahrheiten zu verschleiern.
Beispiel:
Statt klar von „Behindertenheim“ zu sprechen, wird oft der Begriff „Wohnhaus“ oder „besondere Wohnform“ verwendet. Damit soll ein freundlicheres Bild vermittelt werden, obwohl die Realität häufig weiterhin institutionelles Wohnen mit eingeschränkter Selbstbestimmung ist.
Der Begriff „Unterstützung“
Unterstützung bedeutet im Behindertenbereich, Menschen so zu begleiten und Hilfen bereitzustellen, dass sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Unterstützung meint, dass Menschen mit Behinderungen individuell zugeschnittene Hilfen erhalten, die ihnen ermöglichen, ihr Leben so selbstbestimmt und gleichberechtigt wie möglich zu führen. Sie orientiert sich nicht daran, „Defizite“ auszugleichen, sondern daran, Ressourcen zu fördern und Teilhabe zu ermöglichen.
Der Begriff umfasst sehr verschiedene Bereiche, zum Beispiel:
- Alltagsunterstützung (z. B. Assistenz bei Haushaltsführung, Mobilität, Kommunikation).
- Unterstützung im Bildungs- und Arbeitsbereich (z. B. Lernbegleitung, Jobcoaching, Unterstützte Beschäftigung).
- Unterstützende Dienste (z. B. Persönliche Assistenz, mobile Dienste, Freizeitassistenz).
Im Unterschied zu „Pflege“ wird mit „Unterstützung“ betont, dass die Person aktiv und entscheidungsberechtigt bleibt und die Hilfe dazu dient, Autonomie und Teilhabe zu sichern.
Der Begriff „Personenzentriertes Denken“
Personenzentriertes Denken bezeichnet im Behindertenbereich eine Haltung, bei der die individuelle Person mit ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen im Mittelpunkt steht – und nicht die Behinderung oder Diagnose. Damit verbunden ist ein ressourcenorientiertes Denken im Gegensatz zu einem defizitorientierten Denken: Statt Einschränkungen oder Mängel hervorzuheben, werden Fähigkeiten, Potenziale und Stärken der Person in den Vordergrund gestellt. Ziel ist es, gemeinsam mit der betroffenen Person Wege zu finden, wie sie ihre Ressourcen bestmöglich einsetzen und dadurch ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes und inklusives Leben führen kann.
Beispiele:
Ein Mann mit geistiger Behinderung lebt in einer Wohngruppe. Defizitorientiertes Denken würde betonen, dass er nicht alleine kochen kann, Schwierigkeiten im Umgang mit Geld hat und daher auf umfassende Betreuung angewiesen ist.
Personenzentriertes und ressourcenorientiertes Denken hingegen hebt hervor, dass er gerne in der Küche arbeitet, einfache Rezepte mit Anleitung gut umsetzen kann und stolz darauf ist, wenn er beim Einkaufen kleine Beträge selbständig bezahlt. Die Unterstützung richtet sich also darauf, diese Fähigkeiten zu fördern – etwa durch leicht verständliche Einkaufslisten, Kochanleitungen in Bildern und Assistenz beim Zählen von Geld.
Ein Mann mit einer chronischen Depression lebt in einer betreuten Wohnform. Defizitorientiertes Denken würde betonen, dass er oft antriebslos ist, soziale Kontakte meidet, seine Medikamente nicht regelmäßig einnimmt und deshalb dauerhaft auf Unterstützung angewiesen ist. Personenzentriertes und ressourcenorientiertes Denken hingegen stellt heraus, dass er ein großes Interesse an Musik hat, zuverlässig an einer wöchentlichen Gitarrengruppe teilnimmt und an Tagen, an denen er musiziert, spürbar stabiler wirkt. Außerdem hat er die Fähigkeit entwickelt, frühzeitig Anzeichen einer depressiven Episode wahrzunehmen und diese Signale im Gespräch zu benennen.
Nicht die Behinderung/Erkrankung wird in den Mittelpunkt gestellt, sondern das, was der Betroffene* trotz Einschränkungen aktiv gestalten kann. Das bildet die Grundlage für mehr Selbstbestimmung, Stabilität und Teilhabe.
Der Begriff „Personenzentriertes Planen“ in der Behindertenarbeit
Personenzentriertes Planen bedeutet in der Behindertenarbeit, dass Unterstützungs- und Hilfeangebote nicht „für“ eine Person entworfen werden, sondern gemeinsam mit ihr. Die betroffene Person steht im Zentrum aller Überlegungen und bestimmt, welche Ziele, Wünsche und Lebensentwürfe für sie wichtig sind.
Beispiel:
Ein junger Mann mit Mehrfachbehinderung geht gerne schwimmen, weil er dabei weniger Schmerzen hat. In einem Setting für Persönliche Zukunftsplanung äußerte er den großen Wunsch, Rettungsschwimmer zu werden. Rein praktisch ist dieses Ziel für ihn nicht erreichbar – nach klassisch-defizitorientiertem Denken wäre das Gespräch hier beendet mit dem Hinweis: „Das geht nicht.“ Im Rahmen der personenzentrierten Planung jedoch wurde sein Wunsch ernst genommen. Gemeinsam mit ihm überlegte man: Wo liegen seine Ressourcen? Was genau gefällt ihm am Schwimmen? Im Setting erklärte er, dass es vor allem das Wasser und die rote Badehose seien, die ihn so begeistern. Daraus entwickelte sich eine neue, realistische Möglichkeit: Er wurde zum Hallenbad-Tester für Menschen mit Schwerbehinderung. Gemeinsam mit seinem Betreuer besucht er unterschiedliche Bäder, prüft deren Barrierefreiheit und schreibt seine Erfahrungen im Internet nieder. So bleibt der Kern seines Wunsches – die Begeisterung für Wasser, Schwimmen und die Rolle als „Experte“ – erhalten, auch wenn das ursprüngliche Ziel nicht eins zu eins umsetzbar war. Personenzentriertes Planen bedeutet also, Träume ernst zu nehmen und kreative Wege zu finden, wie sie in einer angepassten Form doch gelebt werden können.
Die UN-Behindertenrechtskonvention
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist ein internationale Völkervertrag, der die Rechte von Menschen mit Behinderungen schützt und fördert[5]. Als völkerrechtlicher Vertrag verpflichtet die Konvention die Unterzeichnerstaaten, Nichtdiskriminierung und Inklusion zu gewährleisten.
Inhalte und Verpflichtungen der UN-BRK
Die UN-Behindertenrechtskonvention deckt alle Lebensbereiche ab und enthält sowohl allgemeine Verpflichtungen der Staaten (z. B. Beteiligung von Betroffenen, Bewusstseinsbildung, Beseitigung von Barrieren) als auch detaillierte Einzelrechte in zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belangen:
• Barrierefreiheit
• Selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft
• Gleichberechtigung vor dem Gesetz
• Schutz der Freiheit und körperlichen Unversehrtheit
• Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch
• Privatsphäre, Ehe und Familie
• Bildung
• Arbeit und Beschäftigung
• Kulturelles Leben, Freizeit und Sport
• Soziale Sicherung und Schutz vor Armut
Die UN-BRK wurde 2006 von der UN-Generalversammlung beschlossen und war das erste Menschenrechtsabkommen des 21. Jahrhunderts. In Kraft trat die Konvention 2008[6]. Österreich hat die Konvention bereits 2008 ratifiziert[7], Deutschland folgte 2009.
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gilt ausdrücklich auch für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen. Schon in Artikel 1 UN-BRK wird klargestellt, dass der Begriff Behinderung auch Menschen umfasst, „die langfristige seelische Beeinträchtigungen haben“. Mit „seelisch“ sind psychische Erkrankungen oder psychische Funktionsbeeinträchtigungen gemeint. Österreich diskutiert intensiv, wie die Vorgaben der UN-BRK mit nationalen Regelungen zum Psychiatriewesen (z. B. Unterbringungsgesetze, Zwangsbehandlungen) in Einklang gebracht werden können.
Unterzeichnerstaaten
Bis heute haben fast alle Staaten der Welt die Konvention unterzeichnet und ratifiziert – insgesamt 191 Staaten sind Vertragsparteien (Stand 2024[8]), dazu gehören sogar Russland, China und Südafrika.
Ratifikation und rechtliche Grundlage in Österreich
Formal handelt es sich bei der UN-Behindertenrechtskonvention um einen Staatsvertrag im Sinne des Art. 50 Abs. 1 Z 1 der Bundesverfassung[9], der vom Nationalrat genehmigt wurde. Bei der Ratifikation hat Österreich einen sogenannten Erfüllungsvorbehalt erklärt. Das bedeutet, dass die Verpflichtungen aus der UN-BRK innerhalb Österreichs durch nationale Gesetze umgesetzt werden müssen[10]:
Die nationalen Grundlagen des Behindertenrechts in Österreich bestehen vor allem aus drei Bundesgesetzen:
• Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz
• Behinderteneinstellungsgesetz
• Bundesbehindertengesetz
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist geltendes Recht in Österreich, und damit bei der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu berücksichtigen. Allerdings bilden das BGStG, BEinstG und BBG keine Strafgesetze ab, sondern gehören zum Verwaltungs- und Sozialrecht. Wenn sich ein Mensch mit Behinderung in seinen Rechten verletzt fühlt, kann er sich an einen Behindertenanwalt oder gleich direkt an das Sozialministerium wenden.
Auch die UN-Behindertenrechtskonvention enthält keine Tatbestände, die direkt von der Staatsanwaltschaft als Offizialdelikte verfolgt würden. Bei Diskriminierung können Betroffene nicht Anzeige bei der Polizei erstatten, aber Schadensersatzansprüche geltend machen. Wenn es um Fragen zur Gleichstellung geht kann eine Interessenvertretung wie der Monitoringausschuss oder der UN-Behindertenrechtsausschuss in Genf eingeschaltet werden. Diese Organisationen können zwar keine Sanktionen verhängen, aber Empfehlungen abgeben. Erst wenn eine Handlung zugleich einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt (z. B. § 283 StGB – Verhetzung), dann gelten sie als Offizialdelikte, die bei der Polizei angezeigt und von der Staatsanwaltschaft aus Eigenem verfolgt werden können.
Der Nationale Aktionsplan Behinderung (NAP Behinderung II 2022–2030) des österreichischen Sozialministeriums
Der NAP Behinderung ist die nationale Strategie Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention[16]. Die Bundesregierung beschloss am 6. Juli 2022 den Aktionsplan für den Zeitraum 2022 bis 2030, als Nachfolgeplan zum ursprünglich 2012 eingeführten ersten NAP, der Ende 2021 auslief.
Im Unterschied zum ersten Plan wurden beim NAP II aktive Mitwirkung der Länder eingeführt und eine stärkere Einbindung der Teilhaberechtsträger* (z. B. Vertreter* von Menschen mit Behinderungen) realisiert.
Struktur, Ziele und Maßnahmen
Der NAP Behinderung II enthält:
- Ausgangslagenanalysen in den jeweiligen Bereichen (z. B. Barrierefreiheit, Teilhabe, Gleichstellung)
- Fast 300 politische Zielsetzungen, auf die sich Bund und Länder verständigt haben
- Rund 150 Indikatoren, mit denen der Fortschritt der Zielerreichung gemessen werden soll
- 375 Maßnahmen, aufgeteilt in acht Schwerpunktkapitel, die bis 2030 umgesetzt werden sollen
Die fast 300 konkrete Zielsetzungen lassen sich in acht große Schwerpunktbereiche gliedern:
- Gleichstellung und Antidiskriminierung – Abbau von Benachteiligungen, Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen.
- Barrierefreiheit – Verbesserung der Zugänglichkeit von baulichen Einrichtungen, Verkehr, Information, Kommunikation und digitalen Angeboten.
- Bildung – Inklusive Bildung von der frühen Förderung bis zur Hochschule, Unterstützung bei Übergängen im Bildungssystem.
- Arbeit und Beschäftigung – Förderung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, bessere Rahmenbedingungen für Beschäftigung, Stärkung von Inklusionsbetrieben.
- Soziale Sicherung – Sicherstellung eines ausreichenden Lebensstandards und Zugang zu sozialen Leistungen.
- Gesundheit und Rehabilitation – Gleichberechtigter Zugang zum Gesundheitssystem, inklusive Rehabilitations- und Pflegeangebote.
- Selbstbestimmtes Leben und Partizipation – Stärkung der persönlichen Autonomie, Unterstützung bei selbstbestimmtem Wohnen und gesellschaftlicher Teilhabe.
- Bewusstseinsbildung und Information – Abbau von Vorurteilen, Förderung einer inklusiven Gesellschaft, Sensibilisierung in Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Menschenbild: Definition
🪢 🧩💡Erinnerungsknoten: Menschenbild, Definition; Grundsätze der Pflege & Sozialbetreuung als Beruf 💡🧩 🪢
🪢 🧩💡Erinnerungsknoten: Die 5 Grundannahmen des Humanismus; Grundsätze der Pflege & Sozialbetreuung als Beruf 💡🧩 🪢
Haltung: Definition
Unter der Haltung versteht man die persönliche Grundeinstellung bezüglich bestimmter Themen, Menschen oder Situationen.
Werte: Definition
🪢 🧩💡Erinnerungsknoten: Werte; Grundsätze der Pflege & Sozialbetreuung als Beruf 💡🧩 🪢
Das Zusammenspiel von Menschenbild, Werten und Haltung
Unser Menschenbild prägt unsere innere Haltung und unsere Werte, daraus entwickeln sich Normen, aus denen sich Gesetze ableiten. Das Menschenbild bestimmt also über unsere Handlungen.
Merkmale des Handelns im Unterschied zu Merkmalen professionellen Handelns
Merkmale des Handelns: man handelt nach dem eigenen Menschenbild, den eigenen Werten, der eigenen Haltung. Das ist im privaten Kontext richtig und wichtig, aber nicht im beruflichen Kontext, denn dort würde dies im schlimmsten Fall Willkür bedeuten.
Merkmale professionellen Handelns: Handeln nach den Normen (also den Modellen und Konzepten) des jeweiligen Berufsbilds, die durch die Normen des jeweiligen Hauses ergänzt werden.
Quellen:
[1] UN-Behindertenrechtskonvention, broschuerenservice.sozialministerium.gv.at
[2] Österreichische Bundesverfassung, RIS
[3] § 2, SchOG, Schulorganisationsgesetz, jusline.at
[4] § 47, SchUG, Mitwirkung der Schule an der Erziehung, jusline.at
[5] UN-Behindertenrechtskonvention, Erklärung des Sozialministeriums Österreich
[6] UN-Behindertenrechtskonvention, Erklärung des Deutschen Instituts für Menschenrechte
[7] Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich, Sozialministerium Österreich
[8] Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
[9] Die Behindertenrechtskonvention und ihre Bedeutung, Lebenshilfe Tirol
[10] UN-Konvention, monitoringausschuss.at
[11] Berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Sozialministerium Österreich
[12] Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich, Sozialministerium Österreich
[13] monitoringausschuss.at
[14] Ausschuss der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs September 2013, Sozialministerium Österreich
[15] Ausschuss der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Zweiter Bericht Österreichs 2023 (PDF), Sozialministerium Österreich
[16] Der Nationale Aktionsplan Behinderung (NAP Behinderung), Sozialministerium Österreich
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