Kommentarliteratur zum Thema des Fachs „Humanwissenschaft“
Die Psychologie ist eine Wissenschaft, die sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten befasst. Sie will menschliches Verhalten verstehen und positiv beeinflussen. Doch genau das kann auch missbraucht werden. Besonders das Verändern von Verhalten, eines der Hauptziele der Psychologie, wird nicht nur in der Therapie genutzt, sondern auch von der Werbeindustrie, der Politik und der Wirtschaft.
Psychologie als Manipulationswerkzeug
Psychologische Erkenntnisse finden in zahlreichen Bereichen Anwendung – nicht immer zum Wohl der Menschen. Es gibt auch Akteure, die sie gezielt nutzen, um Entscheidungen und Handlungen von Menschen in eine gewünschte Richtung zu lenken. Dabei geht es nicht nur um vergleichsweise harmlose Mechanismen wie Farbpsychologie oder die gezielte Platzierung von Produkten. Viel gefährlicher ist die bewusste Nutzung von Angst als Manipulationsstrategie, um Menschen zu bestimmten Handlungen zu drängen.
Ein Beispiel dafür ist Werbung im Bereich Pharma. Oft schürt sie gezielt Angst vor Krankheiten oder Symptomen, um den Absatz bestimmter Präparate zu steigern. Auch in der Wellness- und Schönheitsbranche wird mit Ängsten gearbeitet. Ein bekanntes Beispiel ist Werbung auf Social Media, die über Jahre hinweg den Frauen Angst vor extremer Zellulite gemacht hat. Dabei wurden Bilder von Menschen mit Lipödem genutzt, einer Erkrankung, die lange Zeit nicht als Krankheit anerkannt wurde. Die Werbebranche nutzte dies aus, um teure Cremes und Behandlungen zu vermarkten, ohne über die tatsächlichen Ursachen dieser Erscheinungen aufzuklären.
Ethik in der Psychologie: Wo sind die Grenzen?
Obwohl die Psychologie zahlreiche positive Anwendungen hat, stellt sich die Frage nach der ethischen Verantwortung derjenigen, die dieses Wissen anwenden. Diese Frage stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Missbrauch psychologischer Erkenntnisse in wirtschaftlichen oder politischen Bereichen, sondern auch bei fragwürdigen Entwicklungen innerhalb der Psychiatrie und Psychologie selbst.
Es gibt bestimmte Aussagen aus dem psychiatrischen Umfeld – wir alle kennen sie aus Talk Shows oder aus Social Media – die gezielt mit Angst arbeiten und Menschen von der Notwendigkeit bestimmter Medikamente überzeugen sollen. Es handelt sich um eine subtile, indirekte Form der Werbung, die hier zum Einsatz kommt. Hier ist es nicht eine klassische Werbekampagne, die eine Botschaft vermittelt – was in Österreich laut Heilmittelwerbegesetz verboten wäre – sondern vielmehr ein Moderator oder ein Wissenschaftler, der sie in den öffentlichen Diskurs einbringt. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist etwa das Konzept der „chemischen Imbalance im Gehirn“ als angebliche Ursache für Depressionen. Über Jahre hinweg wurde diese Theorie als wissenschaftliche Tatsache dargestellt und über verschiedene Medien und Plattformen verbreitet, um den Absatz von Antidepressiva zu steigern – bis sie 2023 endgültig widerlegt wurde (1). Dasselbe gilt für die Serotonin-Hypothese, die lange Zeit als Grundlage für die Wirksamkeit von Antidepressiva propagiert wurde. Trotz mangelnder wissenschaftlicher Belege hielt sich diese Vorstellung über Jahrzehnte in der Öffentlichkeit und diente als zentrales Argument für die Verschreibung entsprechender Medikamente. Und das bis heute, obwohl die Hypothese bereits ebenfalls widerlegt wurde (2).
Ähnlich problematisch ist die weitverbreitete Aussage, dass Antidepressiva Leben retten würden – eine Behauptung, die im direkten Widerspruch dazu steht, dass eine dokumentierte Nebenwirkung dieser Medikamente Suizidalität sein kann. Solche Widersprüche werfen die Frage auf, inwieweit die Psychologie selbst in eine Krise geraten ist, etwa weil wirtschaftliche Einflüsse dazu beigetragen haben, psychische Gesundheit vorrangig als ökonomischen Faktor zu betrachten.
Fehlgeleitete Übernahme von Werbebotschaften durch Fachkräfte
Werbebotschaften sind leicht verständlich und einfach weiterzugeben. Bedauerlicherweise haben deshalb auch viele Psychologen und Psychiater Werbeaussagen unreflektiert übernommen. Es wäre dringenst an der Zeit, sich von solchen marketinggesteuerten Aussagen zu distanzieren und sich wieder auf unabhängige, evidenzbasierte Forschung zu fokussieren – mit der Betonung auf unabhängig. Nur so kann gewährleistet werden, dass psychologische und psychiatrische Behandlungen tatsächlich im besten Interesse der Patienten stehen und nicht vorrangig wirtschaftlichen Interessen dienen.
Manipulation durch die Politik
Auch in der Politik wird psychologisches Wissen gezielt eingesetzt, um Verhaltensweisen zu beeinflussen. Dies geschieht durch strategisches Framing von Themen, um bestimmte Narrative zu verankern. Ein bekanntes Beispiel ist die Angstkommunikation, die in Krisenzeiten genutzt wird. Politiker verwenden bewusst Begriffe wie „Krieg gegen das Virus“ oder „Krise des Jahrhunderts“, um eine Dringlichkeit und Bedrohung zu erzeugen, die das Verhalten der Bevölkerung lenkt und Akzeptanz für weitreichende Maßnahmen schafft.
Ein anderes Beispiel ist die selektive Informationsweitergabe. Regierungen und politische Akteure heben bewusst bestimmte Aspekte eines Themas hervor, während sie andere bewusst ausblenden. Oft werden ungeliebte Aspekte einfach umgedeutet. So wurde in der Wirtschaftspolitik häufig das Konzept der „Alternativlosigkeit“ verwendet, um neoliberale Reformen durchzusetzen. Dabei wird suggeriert, dass es keine andere Lösung gibt als die vorgeschlagene, was kritisches Denken und demokratische Debatten unterdrückt.
Psychologische Erkenntnisse sind mächtige Werkzeuge – sie können sowohl zum Wohl als auch zum Nachteil von Menschen eingesetzt werden. Umso wichtiger ist es, diese Strategien zu kennen und zu verstehen. Denn nur, wer sie durchschaut, kann bewusst hinterfragen, wem sie letztlich dienen. Ein aufgeklärtes Bewusstsein ist der beste Schutz davor, unbewusst in manipulative Mechanismen verstrickt zu werden.
Quellen:
(1) A chemical imbalance doesn’t explain depression: So what does?
(2) Depression: New Study Hammers a Nail into the Serotonin Model Coffin
Bild: KI